Interview mit Wago-CEO Heiner Lang

„Co-Creation ist eine Geisteshaltung“

Co-Creation – also die anbieterübergreifende Zusammenarbeit – soll die Automatisierung künftig stark prägen. Wie viel Substanz steckt denn bereits hinter diesem Trend, Herr Dr. Lang?

Heiner Lang: Man muss sich bewusst sein: Co-Creation ist weder ein Projekt, noch ein Prozess, sondern zuallererst eine Geisteshaltung. Nur wenn man sich wirklich darauf einlässt, ist es möglich, gemeinsam Mehrwert zu gestalten und im Zuge dessen die Zukunft der Automatisierung zu formen. Damit einhergehend muss man sich den Partnern ein ganzes Stück weit öffnen – was eben auch große Offenheit im eigenen Selbstverständnis voraussetzt.

Es geht also um eine komplett neue Herangehensweise?

Ja. Ich halte einen Mindshift für unumgänglich. Denn auch der Maschinenbau ist schlussendlich in der schnelllebigen Welt der Digitalisierung angekommen. Parallel boomen Automatisierung und Elektrifizierung als Technologiefelder nach wie vor und erreichen massive Zuwächse. Daran hat auch Corona nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Die Pandemie hat sich hier gewissermaßen wie ein Brandbeschleuniger ausgewirkt. In der Folge bewegen sich der Maschinenbau und die produzierende Industrie noch stärker in Richtung digitaler bzw. IoT-Lösungen und denken mehr und mehr in Richtung offener Ansätze oder Apps. Und dem folgen auch die Automatisierungsanbieter, was sich auf der SPS im vergangenen November definitiv bemerkbar machte.

Inwiefern?

Auf der Messe in Nürnberg konnte man diese Entwicklung nicht nur an den neu vorgestellten Produkten und Lösungen ablesen. Auch die Gespräche der Aussteller untereinander waren viel offener, als man es aus den Zeiten vor Corona gewohnt war. Der Trend ist also bereits dabei, sich im Mindset der Anbieter zu manifestieren. Hintergrund ist die reifende Erkenntnis, dass sich die künftigen Herausforderungen eigentlich nur gemeinsam lösen lassen. Die im Maschinenbau benötigten Systeme werden stetig komplexer. Sie werden anspruchsvoller. Und sie werden dynamischer. Einzelne Automatisierungsanbieter – selbst die ganz großen – haben nicht mehr das Knowhow, die Fähigkeiten oder die Ressourcen, um alles komplett in Eigenregie zu entwickeln bzw. die Kundenwünsche in Zukunft ganz allein zu erfüllen. Wenn man das verstanden – und sich auch eingestanden – hat, ist es ja nur konsequent, sich mit anderen zusammenzutun und gemeinsam ein Ökosystem zu schaffen. Das nennt man dann Co-Creation und davon profitieren die Kunden wie auch man selbst in gleichem Maße.

Haben also die Maschinen- und Anlagenbauer auch bereits verstanden, welcher Mehrwert auf sie wartet?

Ich bin mir ziemlich sicher. Als Kind des Maschinenbaus weiß ich, wie konservativ die Branche bisher eingestellt war und wie träge Veränderungsprozesse dadurch oft waren. Aus meiner Sicht hat sich das in den letzten Jahren deutlich verändert. Es ist viel mehr Bewegung zu spüren. Denn man hat festgestellt: Durch die immer weiter steigende Komplexität in den Maschinen und das immer stärkere Zusammenwachsen von Mechanik, Elektrotechnik und Software geht es einfach nicht mehr ohne ganzheitlichen, hollistischen Ansatz. Dort, wo die unterschiedlichen Systeme in der Anlage interoparabel miteinander funktionieren müssen, dort ist der Ansatz von Co-Creation genau richtig. Umgekehrt bedeutet das: Im Maschinenbau kann erst das entstehen, was in Zukunft gefordert ist, wenn alle beteiligten Player – Lieferanten, Kunden und gegebenenfalls auch Marktbegleiter – wirklich offen zusammenarbeiten.

Rennt man mit diesem Ansatz beim Endanwender nicht offene Türen ein? Schließlich machen ihm die heute immer noch dominierenden proprietären Automatisierungskonzepte in vielerlei Hinsicht das Leben schwer.

Mit Sicherheit. Die Anwenderseite wünscht sich schon seit Jahrzehnten mehr Offenheit. Und der Maschinenbau ebenfalls. Die Automatisierungsanbieter hatten sich dem Wunsch aber lange verschlossen – und ihre proprietären Systeme weiterhin gepflegt. Jetzt müssen sie feststellen, dass diese Phase dem Ende zugeht. Weil sie dem Kundenwunsch in Zeiten der Digitalisierung überhaupt nicht mehr entspricht; sogar eher komplett entgegensteht. Die Industrie sieht sich kontinuierlich steigendem Wettbewerbsdruck gegenüber und erhöht damit einhergehend ihre Anforderungen an den Maschinenbau. Der wiederum muss immer schneller reagieren, sein Angebot anpassen und die Markteinführungszeiten verkürzen. Dabei kommt ihm das Plus an Dynamik und Geschwindigkeit natürlich sehr gelegen, das Co-Creation in Aussicht stellt. Um ihren globalen Führungsanspruch zu unterstreichen, täten die heimischen Automatisierungsanbieter gut daran, sich aktiv und engagiert an dieser Stelle einzubringen.

In welchem Bereich kann Wago dabei besonders gut seinen Beitrag leisten?

Bei einem ganz wichtigen Punkt ist Wago seinen Marktbegleitern ein gutes Stück voraus. Wir lassen bei unserem Steuerungssystem schon seit vielen Jahren eine komplette Offenheit zu. Konkret heißt das: Wir setzen keinen eigenen Quasi-Standard, sondern passen uns den bereits auf dem Markt etablierten Lösungen variabel und flexibel an. Denn für unsere Positionierung ist es entscheidend, wirklich multikompatibel zu sein. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Auch wir müssen über die Steuerungsoffenheit hinaus denken und aktiv Partner in unser Ökosystem einladen. Wie beschrieben, können auch wir mit unserem Portfolio nur einen Teil der Kundenanforderung abdecken. Für den Rest brauchen wir die Kompetenz anderer Marktteilnehmer, mit denen unsere Systeme kompatibel sind. Gemeinsam bieten wir dem Maschinenbauer dann ganzheitliche Lösungen an. Der Kunde kann also alles aus einer Hand kaufen – auch wenn nicht alles von einem Anbieter entwickelt wurde.

Das Konzept ‚One Face to the Customer‘ soll sich also nicht ändern?

Nein, mit der steigenden Komplexität und der zunehmenden Zahl an Schnittstellen darf man den Kunden nicht alleine lassen. Unser Ziel ist es, dem Kunden eine Art Einkaufskorb zur Verfügung zu stellen, in dem er die für ihn passenden Wago-Produkte und alle weiteren benötigten Elemente für seine Lösung zusammenfasst.

Wie weit ist Wago auf diesem Weg?

Wago hat eine sehr produktorientierte Historie: Unser Katalog führt rund 25.000 Artikel. Das lässt sich von heute auf morgen nicht ändern. Nichtsdestotrotz haben wir die vergangenen zwei Jahre aktiv genutzt, um Komponenten zusammengefasst in Richtung Systeme weiterzuentwickeln. Wir werden die einzelnen Produkte peu à peu um die dafür nötige Connectivity erweitern. Ziel ist es, immer mehr Systembausteine für bestimmte Applikationen und Branchen vorzuhalten – und so den Produktkatalog zu einem System- und Lösungskatalog zu wandeln. Und um dieses Vorhaben wirklich rund zu machen, laden wir Partnerunternehmen ein. In Kürze werden wir hier auch bereits erste Namen nennen können.

Wago ist nicht der einzige Steuerungsanbieter, der unter dem Co-Creation-Ansatz auf der Suche nach passenden Partnern ist. Wird sich der Kunde am Ende doch wieder mit verschiedenen Ökosystemen parallel auseinandersetzen müssen?

Es wird sicherlich nicht nur eine solche Plattform für den Maschinenbau geben. Das ist auch nicht tragisch. Schließlich ist ein gewisser Wettbewerb gut fürs Geschäft. Und auch eine Differenzierung zwischen den Steuerungsanbietern bleibt wichtig. Aber sie darf nicht mehr zu Insellösungen führen. Deswegen bin ich überzeugt, dass sich mittelfristig auch offene Schnittstellen zwischen den jeweiligen Angeboten etablieren werden. Einen Krieg der Ökosysteme, wie wir ihn von den Feldbusstandards kannten, werden wir also nicht erleben.

Braucht es dafür noch weitere Standardisierung?

Ja, sowohl auf der Automatisierungs- als auch auf der IT-Seite. Je mehr beide Welten zusammenwachsen, umso durchgängiger müssen die Standards sein. In der digitalen Fabrik sogar so koexistent, dass sich die Anbindung der Feldebene ohne Technologiebruch garantieren lässt – bis ins ERP und wieder zurück. Das ist in der klassischen Denke der Automatisierungsanbieter kein Wunschszenario, und das war es auch für Wago ursprünglich nicht. Aber es führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei. Deswegen stellen wir im Unternehmen die Weichen jetzt ganz bewusst in diese Richtung.

Betrifft das auch das Engineering?

Ja, das schließt auch das Engineering mit ein. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Denn natürlich bleibt es wichtig, das richtige Domänenwissen für den jeweiligen Kunden und seine spezifischen Bedürfnisse vorzuhalten. Das lässt sich auch in Zukunft nicht pauschal standardisieren.


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