Steuerungstechnik aus der Cloud

Vision, Fiktion oder schon Realität

Steuerungstechnik
aus der Cloud

Wird Steuerungstechnik aus der Cloud zur Realität? In der Artikelserie ‚Steuerungstechnik aus der Cloud – Vision, Fiktion oder schon Realität‘ wollen wir uns in sieben Beiträgen dem Thema widmen. Neben der Betrachtung der Kommunikationsstrecke zwischen Cloud und Anlage in diesem Beitrag wird es in weiteren Beiträgen um eine echtzeitfähige cloudbasierte Steuerungsplattform und darauf laufender Steuerungsfunktionalität sowie der Anbindung von Smart Services gehen.
Spätestens seit der Hannover Messe 2016 ist auch dem letzten Automatisierungstechniker bewusst geworden, dass IT und Steuerungstechnik unumkehrbar zusammen wachsen. Firmen wie Microsoft und SAP proben den Schulterschluss mit Steuerungslieferanten wie Beckhoff und Siemens. Bosch Rexroth und Phoenix Contact realisieren eigene Cloudlösungen, um die vertikale Vernetzung von der Klemme bis zur Cloud Realität werden zu lassen. Auch klassische Maschinenbauer wie die Firma Trumpf gründen Startups wie Axoom, um an den Geschäften mit Produktionsdaten teilhaben zu können. Offen bleibt dabei die Frage, was dies für die Steuerungstechnik an sich bedeutet. Folgt auf die Anbindung der Steuerungstechnik an IT-Systeme eine Integration in diese? Werden in absehbarer Zukunft SPS, Motion und CNC nur einzelne Anwendungen unter vielen sein, die nach Bedarf auf Cloudplattformen instanziiert, ausgeführt und nach Abarbeitung des Auftrags wieder gelöscht werden? Lösungen, ausgestattet mit einem Echtzeitbetriebssystem für Cloudsysteme, einer deterministischen Kommunikationsanbindung über IP-Netzwerke sowie entsprechender I/O und Antriebstechnik, zeichnen sich ab. Wird also Steuerungstechnik aus der Cloud zur Realität?

In der Artikelserie ‚Steuerungstechnik aus der Cloud – Vision, Fiktion oder schon Realität‘ wollen wir uns in sieben Beiträgen dem Thema widmen. Neben der Betrachtung der Kommunikationsstrecke zwischen Cloud und Anlage in diesem Beitrag wird es in weiteren Beiträgen um eine echtzeitfähige cloudbasierte Steuerungsplattform und darauf laufender Steuerungsfunktionalität sowie der Anbindung von Smart Services gehen. Beiträge zum daraus resultierenden Mehrwert, zum Schutz vor unerlaubten Manipulationen und eine Vorstellung von Beispielapplikationen runden die Beitragsserie ab. Den Abschluss bildet dann der Kongress ‚Stuttgarter Innovationstage – Steuerungstechnik aus der Cloud‘ am 24. und 25.01.2017 in Stuttgart, an dem die Thematik mit Experten aus unterschiedlichen Bereichen diskutiert werden kann (siehe unter http://www.stuttgarter-innovationstage.de/).

Heutige Grenzen von Steuerungstechnik aus der Cloud

Ende 2013 startete das, als ‚technisch sehr ambitioniert‘ eingeschätzte, BMBF-Projekt ‚Industrielle Cloudbasierte Steuerungsplattform für eine Produktion mit Cyber-physischen Systemen‘ kurz Picasso, um die Grenzen von Steuerungstechnik aus der Cloud auszuloten. Noch 2012 ist die Idee von ‚Steuerungstechnik aus der Cloud‘ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als „angesichts der absehbaren Entwicklung der IT-Technik zwar von grundlegender Relevanz“ aber „für einen Einsatz im Werkzeugmaschinenbau ungeeignet“ bewertet worden. Heute können sich die meisten Zuhörer bei Vorträgen zu ‚Steuerungstechnik aus der Cloud‘ eine echtzeitfähige Cloudlösung vorstellen. Auch die Loslösung der Steuerungstechnik aus den Industrie-PCs und die Portierung in eine Cloud scheinen technisch realisierbar bzw. sind z.B. im Falle von Soft-SPSen schon umgesetzt. Die größten Bedenken existieren jedoch – völlig zu Recht – im Bereich der Kommunikation. Hierbei erscheint die Realisierung einer deterministischen echtzeitfähigen Anbindung zwischen Cloud und Anlage als größter Showstopper. Bei der Kommunikation zwischen Cloud und Anlage sind zwei Größen von entscheidender Bedeutung: Zum einen die Lichtgeschwindigkeit, die zusammen mit der Applikation, eine natürliche Grenze definiert. Benötigt die Applikation z.B. eine Zykluszeit von einer Millisekunde, dann kann eine Steuerungsanwendung, die eine Anlage in Stuttgart steuert, höchstens 150km entfernt z.B. in Frankfurt auf einem Server ausgeführt werden. Die zweite entscheidende Größe ist die Stabilität und Performance des Kommunikationsnetzes. Zur Bewertung des Kommunikationsnetzes wurden unterschiedliche Messungen durchgeführt. Die Messungen der Round Trip Time (RTT) zwischen einem Google Rechenzentrum in Nordeuropa und einer Gegenstelle in Stuttgart ist beispielsweise. in Abbildung 1 dargestellt. Deutlich zu erkennen ist die untere Grenze bei ca. 20ms. Hier begrenzen die eingesetzte Netzwerktechnik entlang der Übertragungsstrecke und die Lichtgeschwindigkeit eine schnellere Kommunikation der Daten. Die obere Grenze liegt bei ca. 105ms, wobei nur vereinzelt die Übertragung der Daten länger benötigt. Speziell diese ‚Ausreißer‘ stellen allerdings die Automatisierungstechnik vor ein Problem. Um dies zu verdeutlichen, ist in Abbildung 2 das Kommunikationsverhalten aus Abbildung 1 noch einmal mit einer anderen Skalierung der Round Trip Time dargestellt. Hier wird deutlich, dass vereinzelte Ausreißer, wie die dargestellten sieben Sekunden zur Stunde 15 der Messung, auftreten können. Diese Ausreißer können zur Beschädigung von Werkstücken oder gar zur Zerstörung der gesamten Anlage führen und müssen vermieden bzw. abgefangen werden – eine deterministische Übertragung ist notwendig.

Lösungsansätze für die Kommunikation zwischen Cloud und Anlage

Mit der Standardisierung von ‚Time Sensitive Networking‘ (TSN) nach IEEE802.1 wird gerade ein entscheidender Grundstein gelegt, um Kommunikationsnetze in Zukunft echtzeitfähig und damit deterministisch zu realisieren. Die Erweiterung von Ethernet um für die industrielle Kommunikation wichtigen Eigenschaften wie Latenz, Jitter und Determinismus bilden eine Grundlage, um eine stabile Übertragung zu garantieren. Weitere Aktivitäten im Bereich der Standardisierung von OSI Layer 3 zu ‚Deterministic Networking‘ (DetNet) können darauf aufsetzen und eine deterministische Kommunikation auch über IP-Netze ermöglichen. Die in DetNet angestrebten Zykluszeiten von 100µs bis 50ms, die Zeitsynchronisation von 1µs und die hohe Verfügbarkeit von 99.999 Prozent werden den Determinismus und die Echtzeitfähigkeit schaffen, die Steuerungstechnik aus der Cloud benötigt [DetNet]. Zykluszeiten von 42,91ms für cloudbasierte Steuerungstechnik, wie in Abbildung 1 dargestellt, reichen heute nicht aus, um Automatisierungsaufgaben zu lösen. Zwar existieren schon heute Anlagen, wie z.B. teilautomatisierte Handarbeitsplätze, denen eine Reaktionszeit von 100ms genügt, die Zielgröße für einen breiten Einsatz ist aber vermutlich eine Zykluszeit von einer Millisekunde. Erst wenn diese Zykluszeit durch cloudbasierte Steuerungstechnik realisiert werden kann, ist ein Betrieb der Großteil der Anlagen damit möglich. Um Anwendungen mit einer Zykluszeit von einer Millisekunde zu realisieren, muss die Cloud näher an die Anlage heran reichen. Sogenannte Edge- oder auch Fog-Clouds, wie in Abbildung 3 skizziert, ermöglichen dies. Edge- oder Fog-Clouds sind Bestandteile der Cloud, befinden sich aber in unmittelbarer Nähe zur Anlage. Sie können innerhalb des Produktionsnetzes angesiedelt sein und weisen dafür nur eine begrenzte Menge an Hardwareressourcen auf, wodurch die Elastizität beschränkt wird. Steuerungsanwendungen mit hoher Anforderungen an die Kommunikation zur Anlage wie die SPS und der Interpolator einer CNC-Steuerung können in Zukunft in Edge- oder Fogclouds instanziiert werden. Steuerungsanwendungen, die keine hohen Ansprüche an die Geschwindigkeit der Anbindung stellen, wie z.B. das Human-Machine-Interface (HMI) oder auch Teile der CNC wie Decoder, Bahnvorbereitung und Geometriekorrektur können auf einer herkömmlichen Cloundinstanz ausgeführt werden. Durch dieses Vorgehen sind Zykluszeiten für Steuerungsanwendungen von unter einer Millisekunde realisierbar. Aktuelle Überlegungen gehen noch einen Schritt weiter: Anstatt nur eine Fog-Cloud zu nutzen, die wie ein Nebel die Anlage umschließt, sollen Mikrocomputer und Mikrocontrollern, die sich auf Antriebsverstärkern und anderen maschineninternen Geräten befinden, als Hardware für die Erweiterung der Cloud genutzt werden. Die Cloud dringt hierdurch – vergleichbar mit Sprühregen – in die Anlage ein. Aus diesem Grund wird diese Erweiterung der Cloud in die Anlage auch als ‚Mist-Cloud‘ (deutsch: Sprühregen-Cloud) bezeichnet. [Mistcloud]


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