Interview mit Rafi zu strategischen Maßnahmen gegen Materialengpässe & Co.

„Wir gehen die Extra-Meile“

Während der vergangenen 15 Jahre musste die Branche bereits verschiedene Krisen bewältigen. Wie hat sich Rafi in dieser Zeit auf Kurs gehalten?

Markus Riedesser: Wir sind in sehr unterschiedlichen Branchen vertreten, in Medizintechnik, Maschinenbau, Kommunikationstechnik sowie der Fahrzeug-, Land- und Baumaschinenbranche. Durch diese breite Aufstellung lassen sich Konjunkturdellen einer Industriesparte durch Zuwächse in anderen Bereichen kompensieren. Als beispielsweise während der Corona-Krise das Auftragsvolumen im Fahrzeug- und Maschinenbau abnahm, haben wir dies durch Auftragssteigerungen bei Telekommunikation und Medizintechnik ausgeglichen. Durch unsere hohe Fertigungstiefe konnten wir sogar Mehrbedarfe unserer Kunden in Krisenzeiten decken.

Der Markt für elektrotechnische Bauteile ist seit Langem durch hohe Nachfrage, kurze Produktzyklen und Obsoleszenz-Risiken geprägt. Wie haben Sie sich auf diese Herausforderungen eingestellt?

Steffen Merk: Wir führen vom Spritzguss über die Montage und Bestückung bis zu Touchscreen-Herstellung alle wesentlichen Fertigungsschritte selbst durch. Das erleichtert es, die Produktion an veränderte Marktlagen anzupassen. Außerdem haben wir uns organisatorisch auf wechselnde Anforderungen eingestellt und betreiben ein proaktives Obsoleszenz-Management. So können wir schon in der Entwicklung die Komponentenverfügbarkeit und mögliche Alternativen eruieren. Beim Monitoring des globalen Marktes und der Einschätzung potenzieller Lieferrisiken unterstützten uns digitale Tools.

Rafi agiert weltweit und ist in globale Lieferketten eingebunden. Wo sind die Lieferbeziehungen gegenwärtig besonders angespannt?

Riedesser: Insbesondere die asiatischen Lieferanten sind von den Produktionseinbrüchen stark betroffen. Fehlende Vorprodukte, Corona-bedingt geschlossene Produktionsstätten, Häfen und Terminals führen vor allem in China zu drastischen Ausfällen. Das gilt besonders für Mikrocontroller und andere Halbleiterkomponenten. Wo sinnvoll, denken wir unter Berücksichtigung von Transportwegen und -kosten sowie der Lohnentwicklung auch über Relokalisierungen von Lieferketten nach. Daher dürfte der Prozentsatz von Materialien und Baugruppen weiter steigen, die wir direkt aus dem jeweiligen Wirtschaftsraum unserer Produktionsstätten in Europa, China und den USA beziehen.

Haben Sie angesichts der aktuellen Krisensituation weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Produktverfügbarkeit und Lieferfähigkeit ergriffen?

Merk: Wir haben frühzeitig eine Task Force aus Einkauf, Auftragsmanagement, Vertrieb und Entwicklung gebildet. Das ermöglichte ein koordiniertes Vorgehen, um Lieferausfällen und Materialengpässen proaktiv entgegenzuwirken. So konnten wir auch kritische Kundenaufträge durch einen Austausch von Materialien und Bauteilen, alternative Beschaffungswege, Produktumstellungen oder Redesigns von Produktgruppen bedienen. Darüber hinaus haben wir unsere Broker-Strukturen ausgebaut und etwa zehn Prozent des Jahresumsatzes in die Beschaffung auf dem sekundären Markt investiert. Insgesamt gehen wir bei Bestellungen jetzt eine Extra-Meile, treiben erheblich mehr Kommunikationsaufwand und haben ein digitales Eskalationsmanagement eingeführt.

Rechnen Sie einer baldigen Entspannung der aktuellen Lieferkrise?

Riedesser: Eine längerfristige Einschätzung der globalen Marktentwicklung ist aktuell kaum möglich. Die Aussichten variieren je nach Produktgruppe und Herkunftsregion. Bei Halbleitern und anderen elektronischen Baugruppen wird sich die Lage wohl erst Mitte 2023 entspannen. Zunehmend kritisch wird die Beschaffung auch bei Stählen und anderen Metallen aufgrund der sehr energieintensiven Herstellung und partiellen Abhängigkeit von Russland. Dagegen hat sich die Verfügbarkeit von Kunststoffen mittlerweile verbessert.

Wie reagieren Ihre Kunden auf den krisenbedingten Mehraufwand?

Merk: Zentrales Anliegen unserer Kunden ist die Lieferfähigkeit. Auch wenn sich die Fristen zwangsläufig verschoben haben, konnten wir die Verfügbarkeit für unser Standardsortiment aufrechterhalten und sogar Mehrbedarfe abdecken. Wo Änderungen bei kundenspezifischen Systemen erforderlich waren, haben wir Alternativen ohne Einbußen der Funktionalität entwickelt. Zum hohen Aufwand kam teils noch Mehraufwand für Zulassungen oder Zertifizierungen hinzu. Das erhöht unweigerlich die Kosten und fordert Transparenz zur Akzeptanz der Mehrkosten.

Welche Auswirkungen haben die aktuellen Herausforderungen auf Unternehmensausrichtung und Belegschaft?

Riedesser: Ein strategisches Ziel besteht in der vertieften Integration der gesamten Unternehmensgruppe, um Kräfte zu bündeln, Strukturen zu vereinheitlichen und die Marktpräsenz zu stärken. Ein zentraler Erfolgsfaktor sind dabei unsere 2.500 Beschäftigten. Sie haben die teils starken Belastungen mit hohem Engagement gemeistert und auch kurzfristige Bedarfsspitzen in Sonder- und Wochenendschichten abgearbeitet. An dieser Stelle möchten wir daher allen Rafi-Beschäftigten für ihre großartige Einsatzbereitschaft nochmals ausdrücklich unseren Dank aussprechen.


  • Emissionen automatisiert berechnen

    Mit Sigreen Connect von Siemens sollen Unternehmen eigene Emissionen auf Produktebene künftig automatisiert berechnen und an die Product-Carbon-Footprint-Management-Lösung übermitteln.


  • Maschinenwechsel in der Blechfertigung leicht gemacht

    Mit der CAD/CAM-Software von Lantek lässt sich der Maschinenwechsel mit nur einem Klick erledigen.