Schulung, virtuelle Fertigung, Echtzeit-Simulation

Ein zweites Leben für Simulationsmodelle

Betriebsbegleitende Echtzeit-3D-Simulation einer Roboterzelle auf dem Research Campus Arena2036
Betriebsbegleitende Echtzeit-3D-Simulation einer Roboterzelle auf dem Research Campus Arena2036 – Bild: ISW Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen

Wer schon einmal eine Zeile Code programmiert hat, weiß, dass man sich der Funktion der geschriebenen Zeilen erst sicher sein kann, wenn das Programm ausgeführt wird. Bei reinen IT-Systemen ist diese Herangehensweise gut umsetzbar, da Programmfehler oft keine direkten Folgen haben bzw. vergleichsweise schnell korrigiert werden können. Wo jedoch IT und Produktion verschmelzen, ist dies anders. Ist etwa der Roboter fehlerhaft programmiert, kann dies schwerwiegende Folgen haben, beispielsweise wenn ein Mensch verletzt wird oder das Band der Produktionslinie stehen bleibt. Um Steuerungssoftware schon am Simulationsmodell zu entwickeln und virtuell Abzusichern, bevor dies am realen System möglich ist, hat sich die Virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) etabliert. Jedoch werden die dafür aufwendig und kostenintensiv entwickelten Simulationsmodelle nach der Inbetriebnahme oft nicht weiterverwendet. Im Folgenden werden daher einige Anwendungsbeispiele und Potentiale der durchgängigen Verwendung von Simulationsmodellen in der Produktionstechnik vorgestellt.

Mitarbeiter schulen

Ein Anknüpfungspunkt für die Weiterverwendung der Simulationsmodelle ist die Schulung von Mitarbeitern. Anstatt diese direkt an der realen Maschine oder Anlage einzuarbeiten oder gar eine gesonderte Maschine nur für Schulungen aufzubauen, kann die Schulung am virtuellen System erfolgen. Reale Maschinen werden nicht belegt und die virtuellen Modelle können zudem parallel von mehreren Anwendern genutzt werden. Ein weiterer Effekt ist, dass mögliche Fehler bei der Einarbeitung nicht direkt zu Schäden am Produktionssystem führen. Diese Idee wird von einigen Industrieunternehmen bereits übernommen. In der Forschung laufen zudem Bestrebungen, das Schulungserlebnis mit Mixed Reality noch immersiver zu gestalten.

Virtuelle Fertigung

In einem weiteren Beispiel rücken das Modell der VIBN und die reale Anlage weiter zusammen: bei der virtuellen Fertigung im Betrieb. Durch Anforderungen wie Losgröße 1 und die damit einhergehende Flexibilisierung von Produktionssystemen, werden Ergebnisse einer vor dem Betrieb durchgeführten Prozesssimulation, wie etwa dem Abtrag beim Fräsen, obsolet. Bevor ein Teil auf dem realen System gefertigt wird, können Fertiger ein virtuelles Bauteil erstellen. Dadurch werden potentielle Fehler früh identifizierbar. Wird die Simulation an das reale System gekoppelt, ist es sogar möglich, ein auf den Istwerten der Maschine basierendes Teil virtuell zu fertigen, das dann wiederum für Analyse und Dokumentationszwecke Verwendung findet.

Echtzeit-3D-Simulation

Ein weiteres Anwendungsbeispiel, das eine Online-Kopplung von Simulation und Produktionssystem voraussetzt, ist die betriebsbegleitende Echtzeit-3D-Simulation (Bild). Diese bildet die zeitlichen und geometrischen Eigenschaften des Systems in Echtzeit ab und ermöglicht die virtuelle Kollisionsabsicherung oder modellbasierte Steuerung sowie die Online-Bahnplanung. Wie schon die virtuelle Fertigung, ist dies ebenfalls für hochflexible Produktionssysteme relevant. Zusätzlich zum parallel zur Realität simulierten Modell wird bei dieser Methode eine Bewegungsprädiktion durchgeführt, die es – in einen gewissen Horizont – erlaubt, zukünftige Ereignisse zu simulieren, was wiederum neue Möglichkeiten der Steuerung von Produktionssystemen ermöglicht.

Modelle übertragen

Zwar beschleunigt die VIBN Entwicklungs- und Absicherungsprozesse. Allerdings werden Produktionssysteme immer flexibler und reagieren adaptiv auf Umgebungseinflüsse, wodurch sich der potentielle Fehlerraum vergrößert und Fehler sogar erst im Betrieb entstehen können. Eine betriebsbegleitende Absicherung wird daher relevanter. Die simulationsbasierte Anwenderschulung ist ein weiteres Anwendungsbeispiel dafür, wie Modelle aus der VIBN weiterverwendet werden können. Um das volle Potential der Simulationstechnik auszuschöpfen, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, um Modelle automatisiert von einen zum anderen Anwendungsfall zu übertragen.