Offene Normen

Geschlossene vs. offene Standards

Noch wichtiger als die Frage, wer die Standards festlegen wird, ist die Frage, wie offen oder geschlossen diese sind. Schließlich darf die Weiterentwicklung von Industrie 4.0 nicht durch eine einengende Normierung behindert werden. Die Herausforderung besteht darin, dass die Normen nur den Rahmen vorgeben dürfen, zum Beispiel bei der M2M-Kommunikation. Sie darf auf keinen Fall eine durchgängige Standardisierung aller Anwendungsfälle und Prozesse festschreiben. Stattdessen sind dezentrale und offene Normen notwendig, die einen Ausbau der konstruktiven und kreativen Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Die Fokussierung auf ein allgemeines Normenrahmenwerk ermöglicht darüber hinaus einen schnelleren Abschluss der Standardisierung. Schließlich können marktdominierende Unternehmen sowie Industriestandards die deutschen Normen schon überholen, bevor diese fertiggestellt sind. Eine schnelle Vorgabe entspricht auch den immer kürzeren Entwicklungszyklen, insbesondere in der Informations- und Kommunikationstechnik. Einen vielversprechenden Lösungsansatz für offene Normen bietet Industrial Data Space, wobei der Begriff Data hier sicherlich unglücklich gewählt ist und zu Konfusionen führen wird, da niemand seine sensiblen Daten herausgibt. Man sollte sich an der noch jungen Entwicklungsgeschichte des World Wide Web orientieren. Dessen Semantik war offen zugänglich, wodurch es sich schnell entwickeln konnte sowie in kurzer Zeit akzeptiert und verwendet wurde. Eine solche Gemeinnützigkeit wäre auch Voraussetzung für eine kurzfristig akzeptierte Norm für Industrie 4.0. Sie könnte die aktuellen Herausforderungen bei der Standardisierung lösen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die meisten Hersteller nach wie vor proprietäre Systeme entwickeln. Dies gilt insbesondere in der Automatisierungstechnik, wodurch in Fertigungsunternehmen heterogene Strukturen entstehen, die meist unterschiedlich alt und teils stark angreifbar sind. Die Feldbusebene, also die Server-zu-Maschine-Komponente, ist dabei zwar weitgehend normiert, aber nicht die Steuerungssprachen, die das Verhalten der Systeme und Komponenten untereinander regeln. So sind bei Änderungen viele Schnittstellen anzupassen. Eine zentrale Steuerung ist zwar heute noch Voraussetzung für eine weitgehende Automatisierung, gerät jedoch zunehmend an ihre Leistungsfähigkeit.

Mögliche Lösung

Wie könnte eine solche offene Norm aussehen? Techniker orientieren sich meist an Lösungen aus der Natur. Hier werden große, komplexe Probleme oft in kleine, lösbare Probleme unterteilt und die Lösungen danach wieder systemhaft zusammengesetzt. Ein Beispiel hierfür bilden die Zellen in lebenden Organismen. Diese bilden jeweils spezialisierte Organe wie Herz, Leber, Nieren oder die Haut, die verschiedene Aufgaben erfüllen. In der Technik gibt es ähnliche Unterteilungen in komplexen Systemen wie Smart Home, Smart Grids, autonomen Fahrzeugen sowie eHealth-Systemen. Doch was bedeutet das konkret für Industrie 4.0? Hier müssen Standards die verschiedenen Prozesse ermöglichen und offen für Weiterentwicklungen bleiben. Intelligente Komponenten haben im ersten Schritt folgende Fragen zu beantworten:

  • • Wer bin ich?
  • • Wer ist mein Nachbar?
  • • Was ist meine Aufgabe?
  • • Was ist die Aufgabe meines Nachbarns?
  • • Wie wirke ich in der Gesamtaufgabe?
  • • Was sind die Konsequenzen eines Fehlers?
  • • Gibt es Alternativen?
  • • Wie kann mein Verhalten geändert werden?

Um die entsprechenden Aufgaben flexibel erfüllen zu können, benötigt die Komponente eigene Steuerungsmechanismen. Dies ist ein Paradigmenwechsel zu den heute meist zentralen Steuerungen. Dezentralität erfordert jedoch Teamfähigkeit, die im Rahmen der obigen Fragen gewährleistet wird. Als Basis ist ein sprachliches Verständnis nötig, wobei die Norm eine offen zugängliche Standardsprache vorgeben muss. Selbstständige Multikomponenten und Multiagenten sorgen dann für Stabilität und Verlässlichkeit. Dies führt zu einem neuen Schichtenmodell, das bottom-up funktioniert. Es besteht aus drei Schichten:

  • • 1. Ein regelbasiertes Komponentensystem sorgt für den richtigen Umgang mit den Konditionen, damit die Komponenten gemeinsam das Gesamtziel erreichen.
  • • 2. Die Verhaltenssteuerung umfasst konkrete Schritte und Anweisungen für das Agieren, Abwarten, Melden oder weitere Aufgaben.
  • • 3. Aktion/Reaktion schließlich sorgt für die Abarbeitung der Arbeitsschritte sowie die Erfassung der dabei erzeugten Daten.

Ein Beispiel für ein solches System bildet die Sopra Steria Software Factory. Sie bietet eine modulare Fertigungsstätte mit dem Metamodell eines Produktionsnetzwerks, das kleine Komponenten enthält, die voneinander unabhängig arbeiten dürfen. So zeigt zum Beispiel die Nutzeroberfläche bereits die Funktionen an, ohne dass diese bereits vollständig entwickelt wurden. Die Software simuliert die entsprechenden Programmbestandteile, so dass der Entwickler bereits die Usability testen und anpassen kann.

Das Ziel

Das Ziel des Standards sollte entsprechend sein, dass Losgröße 1 unabhängig von Hersteller oder Produkt möglich ist. Die Produkte müssen sich selbst die notwendigen Teile und Werkzeuge besorgen sowie ihr Verhalten steuern können. Dazu dient auch eine zuverlässige Bilderkennung inklusive Herauslesen der Metadaten. Entsprechend ändert sich das Geschäftsmodell. Nach einer Online-Bestellung sollte die Herstellung eines individuellen Produkts zu konkurrenzfähigen Preisen möglich sein. Genau dies müssen offene Standards und flexible Normierungen gewährleisten.


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