Interview mit Renate Pilz

Interview mit Renate Pilz

„Wir haben unser
Selbstverständnis als
Automatisierer nie verloren“

Ende der 1980er-Jahre hat Pilz das PNOZ auf den Markt gebracht, das sich über die folgenden Jahre im Maschinenbau und der Automatisierung zu einem Synonym für Sicherheitsschaltgeräte entwickelt hat. Doch welche Rolle spielte das PNOZ für den Erfolg des Unternehmens, und welche der Bereich Safety allgemein? Und wie muss man Sicherheit heute denken, um auf dem sich schnell wandelnden Markt erfolgreich zu sein? Über diese Fragen hat sich das SPS-MAGAZIN mit Renate Pilz, Vorsitzende der Geschäftsführung des Automatisierungsanbieters, unterhalten.
Frau Pilz, obwohl Ihr Unternehmen heute vor allem hinsichtlich seiner Safety-Kompetenz einen besonderen Ruf genießt, hatte Pilz sein elektrotechnisches Portfolio ursprünglich im Bereich von Standardsteuerungen gestartet.

Renate Pilz: Richtig. Unsere frühen Steuerungsmodelle, beispielsweise die Modelle PC4K, P10, P2 oder P8, boten zwar technische Eigenschaften, die damals keine andere SPS hatte, sie waren aber nicht konkret auf Safety ausgerichtet. Erst Mitte der 1990er-Jahre brachte Pilz mit PSS 3000 die erste programmierbare Sicherheitssteuerung auf den Markt, die aber neben den Safety-Aufgaben auch durchaus die Standardwelt mit abdecken konnte. So gesehen adressiert das Portfolio von Pilz seit jeher das komplette Automatisierungsspektrum – der Aspekt der Sicherheit ist dabei aber sehr stark.

Diese Ausrichtung als Automatisierungsanbieter betont Ihr Unternehmen heute auch sehr stark.

Pilz: Das war immer so. Unser Selbstverständnis als Automatisierer haben wir nie verloren. Aber wir haben uns in diesem Rahmen der funktionalen Sicherheit eben schon sehr früh gestellt, und das hat sich – weil wir diese Aufgabe sehr ernst genommen haben – für das Unternehmen als durchaus werthaltig erwiesen und zu einem Alleinstellungsmerkmal entwickelt.

Sie haben in Sachen Safety also quasi die Not zur Tugend gemacht?

Pilz: Es war dem Unternehmen ein großes Anliegen, unsere Automatisierungslösungen mit dem besonderen Wert der Sicherheit anreichern zu können, und das war auch für den Markt wichtig. Es hat zusammengepasst, denn es war die Zeit, in der die Maschinenrichtlinie – erst in Deutschland und dann in ganz Europa – der Sicherheit in der Fabrik auf einmal ein viel größeres Augenmerk abverlangte. Die darauf folgende Verbreitung der sicheren Automatisierung über die ganze Welt hat Pilz dann in der logischen Konsequenz eng begleitet, denn unsere Kunden haben ihre Maschinen und Anlagen ja in alle Länder exportiert und international Fabriken mit denselben Standards wie in Deutschland aufgebaut. Im Rahmen dieser Entwicklung war es für uns als Unternehmen immer sehr wichtig, unser Wissen weiterzugeben. Denn die Sicherheit ist ja etwas, das den Menschen überall auf der Welt zu Gute kommt.

Mit der Maschinenrichtlinie hielt Ende der 1980er-Jahre auch das Safety-Schaltgerät PNOZ Einzug in das Portfolio von Pilz. Wie kam es dazu?

Pilz: Das PNOZ ging ursprünglich auf eine Kundenanfrage zurück. Denn die in Sicherheitsanwendungen bis dato übliche Parallelverdrahtung war für die Maschinenbauer und Integratoren zeitaufwendig und fehleranfällig. Durch die unterschiedlichen Ansprüche unserer Kunden ist über die Zeit eine breite Produktpalette entstanden. Allen Varianten gemein: Es ist immer kompakt, einfach und kostenoptimiert. Mit diesem Ansatz hat sich PNOZ in der Folge auf dem Weltmarkt durchgesetzt.

Ist denn das hiesige Verständnis von Safety und Arbeitsschutz mittlerweile in allen Teilen der Welt angekommen?

Pilz: Nun, es kommt nicht nur auf die Sicherheitskultur eines Landes an, sondern auf die Denke in den einzelnen Unternehmen. Aber ich glaube, mittlerweile wird fast überall auf der Welt die Gesundheit der Mitarbeiter geschätzt – im Sinne des Wortes, denn deren Unversehrtheit stellt einen hohen Wert dar. Genau wie die der Maschinen und Anlagen. Egal wer von der Sicherheitstechnik geschützt wird – ob Mensch oder Maschine – ein Stillstand kostet immer. Safety erhöht letztendlich also die Effizienz in der Produktion.

Erschien es für Sie mit dem großen Erfolg von PNOZ im Rücken nicht sinnvoll, sich ausschließlich auf die Sicherheit zu konzentrieren?

Pilz: Man kann die Automatisierung nun mal nicht getrennt betrachten. Deshalb ist es stets unser Ziel geblieben, beides zu bedienen: Sicherheit und Automation. Zudem sollte sich Pilz des schnellen Erfolges wegen auch nicht auf eine Nische fokussieren. Es war uns immer bewusst, dass ein Unternehmen wandlungsfähig bleiben muss, weil sich die Technik und damit auch die Anforderungen unserer Kunden ändern.

Wie verändern sich, bedingt durch den technologischen Wandel, die Ansprüche Ihrer Kunden im Bereich der Sicherheitstechnik?

Pilz: Safety-Produkte müssen immer mehr Funktionen und Möglichkeiten mitbringen, außerdem müssen sie flexibel und an die jeweilige Applikation anpassbar sein. Dazu wird heute auf Anwenderseite ein hoher Bedienkomfort erwartet: Die Produkte von Pilz lassen sich über die Software längst in allen Landessprachen konfigurieren und parametrieren. Und in Zeiten von Industrie 4.0 bleibt die einfache Handhabung unserer Automatisierungs- und Sicherheitslösungen eine essenzielle Konstante. Die Technik in der industriellen Fertigung ist heute komplex wie niemals zuvor und umso wichtiger wird die Kunst, entsprechende Lösungen einfach beherrschbar zu halten.

Welchen Aspekt nimmt dabei die Offenheit ein?

Pilz: Dieser Aspekt wird heute auf dem Markt immer stärker gefordert, was uns in die Hände spielt. Denn die Offenheit ist bei Pilz schon immer ganz klar gesetzt. Wir können und wollen dem Kunden nicht vorschreiben, für welche Automatisierungsbestandteile er sich entscheidet. Stattdessen lassen wir ihm alle Freiheiten und erarbeiten gemeinsam mit ihm eine passende Lösung. Das gute Miteinander unserer Mitarbeiter mit unseren Kunden ist einer unserer Grundsätze seit Anbeginn des Unternehmens. Entsprechend hat Pilz auch eine außergewöhnliche Beraterkompetenz entwickelt.

Die Automatisierungstechnik hat sich in der Tat sehr stark weiter entwickelt. Hat sie das PNOZ über die Jahrenicht überholt?

Pilz: Nein, denn immer neue Zuwächse halten die PNOZ-Familie jung. Das Spektrum reicht heute vom klassischen Sicherheitsrelais PNOZ X, über das verschleißfreie Sicherheitsrelais PNOZelog und das konfigurierbare Steuerungssystem PNOZmulti bis hin zur neuen Gerätereihe der Sicherheitsrelais PNOZsigma. Allein PNOZmulti hat als vollkommen neue Art der Kleinsteuerung den Markt revolutioniert. Schließlich musste nicht mehr programmiert, sondern nur noch parametriert werden – softwarebasiert, einfach und grafisch übersichtlich. So konnte man erstmals Sicherheitsaufgaben ganz einfach am PC und per Drag&Drop erledigen. Über die gesamte Zeit konnten unsere Kunden auch immer wieder davon profitieren, dass Pilz auch die Standardautomatisierung ausgezeichnet beherrscht.

Die Königsfrage der Automatisierung – zentral oder dezentral – wird gemäß den Ideen von Industrie 4.0 zukünftig wohl immer stärker zugunsten verteilter Steuerungskonzepte entschieden.

Pilz: Ja, und wenn man sich die technologische Entwicklung anschaut, ist das auch nur logisch. Dennoch, bei aller Dezentralität ist ein zentraler Blick, wie ihn das Automatisierungssystem PSS 4000 bietet, ebenfalls wichtig.

Dennoch diskutiert die gesamte Automatisierungsbranche die Möglichkeiten von Industrie 4.0 und der smarten Fabrik. Parallel fordern Anwender durch den Einzug der IT in die Fabrik ein breiteres Leistungsspektrum und der Wettbewerb wird größer. Auf welche Stärken beruft sich das Unternehmen Pilz für den weiteren Markterfolg?

Pilz: Es ist unser tiefes Wissen, das wir über die Materie haben, kombiniert mit großer Nähe zum Markt und zu den Anwendern. Darauf resultierend vertraut man dem Unternehmen Pilz. So sind die allermeisten unserer Kundenbeziehungen langjährig und in gegenseitigem Vertrauen gewachsen. Ein schönes Beispiel ist ein großer Seilbahnhersteller, der seine Bahnen schon mit der ersten frei programmierbaren Pilz Steuerung PC4 K gesteuert und vor 20 Jahren auf die erste frei programmierbare Sicherheitssteuerung PSS 3000 umgestellt hat. Heute übernehmen unsere PSS 4000-Steuerungen alle Automatisierungs- und Sicherheitsfunktionen der Bahnen. Das zeigt die konsequente und kontinuierliche Entwicklung unseres Unternehmens. Ein solcher gemeinsamer Weg und die dabei gelebten Werte machen mich viel glücklicher als hohe Stückzahlen. Natürlich sind die Arbeit und der finanzielle Erfolg wichtige Aspekte, aber Werte wie Offenheit und Vertrauen machen das Leben erst wirklich reich und erfüllend. Unser Motto zur Einweihung des neuen Produktions- und Logistikzentrums war dann auch: Werte. Schaffen. Zukunft. Alle drei Begriffe stehen für sich alleine und doch ergibt das Ganze mehr als die Summe seiner Teile.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der Bewusstseinswandel ist vollbracht, die Sicherheit genießt weltweit in allen Industriezweigen einen hohen Stellenwert. Haben Sie also Ihre Mission erfüllt, Frau Pilz?

Pilz: Für mich persönlich ist es besonders schön zu sehen, wie sich das Safety-Bewusstsein über die Zeit gefestigt hat und den Menschen in der Fabrik zu Gute kommt. Das berührt und bestätigt einen. Doch die Mission des Unternehmens Pilz ist noch lange nicht zu Ende. So ernst wir die Anforderungen unserer Kunden in der Vergangenheit genommen haben, so ernst nehmen wir sie auch in Zukunft. Im Moment lautet das große Thema Industrie 4.0 und da wollen wir uns natürlich entsprechend einbringen – mit unserer Innovationskraft, unserem Wissen und der steten Freude an Neuem. Solange diese Eigenschaften im Unternehmen gelebt werden und unserer Arbeit als Triebfeder dienen, gehen wir unseren Weg ’sicher‘ weiter.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Pilz. Sicherheitsschaltgerät PNOZ

PNOZ hat sich zu einer weltweit bekannten Buchstabenkombination entwickelt und wird oft als Synonym für Sicherheitsschaltgeräte im Allgemeinen gebraucht. Der Produktname setzt sich wie folgt zusammen: P für Pilz, NO für Notaus und Z für zwangsgeführt. Im April 1987 waren die ersten PNOZ-Geräte serienreif und erhielten vom TÜV und 1988 auch von der BG die Zulassung. Die Vorteile gegenüber der Verdrahtung mit Schützen: kleinere Baubreite, Ausschluss von Verdrahtungsfehlern und geprüfte Sicherheit. 2002 brachte Pilz mit dem PNOZmulti das erste frei konfigurierbare Sicherheitsschaltgerät auf den Markt: kompakt, modular und mit einer einfach zu bedienenden Konfigurationssoftware. In den folgenden Jahren wurde es zu einem konfigurierbaren Steuerungssystem mit vielen verschiedenen Basisgeräten weiterentwickelt. PNOZmulti hat sich in vielen Bereichen der Automatisierungstechnik bewährt – von der einfachen Maschine bis hin zur verketteten Anlage.