Elektronikfertigung von Nord in Aurich

Umrichter nach Maß

 Die Vogelperspektive zeigt, dass das Fabrikgelände komplett bebaut ist. Das Nachbargrundstück wurde bereits gekauft.
Die Vogelperspektive zeigt, dass das Fabrikgelände komplett bebaut ist. Das Nachbargrundstück wurde bereits gekauft. Bild: Getriebebau Nord GmbH & Co. KG

Nord gehört zu den weltweit größten Getriebemotoren-Herstellern. Mit rund 5.000 Mitarbeitenden konnte das Familienunternehmen im Jahr 2022 erstmals die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro knacken. Und das, obwohl sich Wachstum und Erfolg nicht so ohne weiteres skalieren lassen. Denn parallel zu Großaufträgen muss Nord eine Vielzahl von kleinen Bestellungen abwickeln. In beiden Fällen gilt der Anspruch, den Kunden exakt passende Lösungen zu liefern – nicht nur auf Motor- und Getriebeseite, sondern auch im Bereich der Antriebselektronik. Auf dem Weg zu Losgröße 1 alles andere als einfach. Schon heute liegt das durchschnittliche Auftragsvolumen bei nur 2,6 Geräten. Dem gegenüber stehen bei Nord über 56.000 aktive Teilenummern. Um diese Gratwanderung zu schaffen und die steigenden Ansprüche der Kunden bedienen zu können, bedarf es moderner Fertigungskonzepte und der dazugehörigen Produktionstechnik.

Präsent an vielen Standorten

Mittlerweile verfügt Nord über ein ausgedehntes Produktionsnetzwerk. Neben den deutschen Fertigungsstätten in Bargteheide, Glinde und Gadebusch werden Motoren, Getriebe bzw. die nötigen Gehäuse und Bauteile auch in Italien, Polen, Frankreich, China, Indien und den USA produziert. Obwohl der zentrale Knotenpunkt für die Auftragsabwicklung nach wie vor der Stammsitz in Bargteheide ist, bildet der vierte deutsche Standort im friesischen Aurich einen besonderen Satelliten: Von dort stammen alle Umrichter sowie die anderen Elektronikprodukte des Unternehmens.

Der Ursprung der Fertigung in Ostfriesland geht auf das Jahr 1984 und eine Kooperation mit dem Windenergieanlagen-Hersteller Enercon zurück. Für Nord war es schon damals klar, dass gemäß dem wachsenden Verständnis als Lösungsanbieter die Leistungselektronik im Portfolio nicht fehlen darf. Enercon wiederum suchte einen zuverlässigen Partner für die in den Windrädern verbaute Umrichtertechnik. Anfangs entwickelte man gemeinsam Analoggeräte. 1989 wurden die ersten Lösungen auf Mikrocontroller-Basis vorgestellt. Über die 1990er und 2000er-Jahre wurde das Angebot in diese Richtung breit ausgebaut – etwa mit den Baureihen SK, SP und SPN oder den Vector- und FCT-Geräten. So konnte Nord ein immer umfangreicheres Leistungs- und Funktionsspektrum abdecken.

Zentral und dezentral

Heute fasst Nord alle Umrichterlösungen unter dem Markennamen Nordac zusammen. Für die klassische Schaltschrank-Installation gibt es die Nordac-Pro-Geräte. Sie decken einen Leistungsbereich bis 160kW ab und und lassen sich durch die Vielzahl an Funktionen an viele Branchen und Anwendungsszenarios anpassen. Das Basismodell SK 500P ist für Leistungen von 0,25 bis 22kW ausgelegt. Den vielseitigen Einsatz ermöglichen etwa die Multiprotokoll-Schnittstelle, ein USB-Anschluss zum spannungsfreien Parametrieren oder die Multi-Encoder-Schnittstelle für den Mehrachsbetrieb.

Ein Spezialbereich von Nord sind Umrichter, die außerhalb des Schaltschranks installiert werden. Sie verfügen allesamt über eine hohe Schutzklasse (IP55, IP66), lassen sich aber grob in zwei Kategorien unterteilen: In jene Geräte, die direkt auf dem Motor montiert werden, und solche, die abgesetzt in der der Umgebung des Motor installiert werden. Durch die integrierte SPS kann der Anwender oft auf eine zusätzliche Steuerung in der Feldebene verzichten. Das Einsatzspektrum der Frequenzumrichter reicht von der diskreten Fertigung über die Bereiche Lebensmittel, Getränke und Verpackung bis zur Prozesstechnik und Intralogistik. Für die direkte Umrichter/Motor-Kombination gibt es die Baureihen On/On+ (0,37 bis 3kW), Flex (0,25 bis 22kW) und Base (0,25 bis 2,2kW). Die Nordac-Link-Serie für die abgesetzte Montage deckt einen Leistungsbereich von 0,37 bis 7,5kW ab. Ergänzend bietet Nord auch Motorstarter in beiden Bauformen an. Dass sich Nord auch mit der Digitalisierung immer stärker beschäftigt, zeigt etwa die Nordcon App. Die Kombination dieses Tools mit Bluetooth-Stick und Smartphone bzw. Tablet erlaubt für alle Nord-Antriebe mobile Parametrierung, Inbetriebnahme, Service und Backup.

Eigenständig und erfolgreich

Doch zurück zum Fertigungsstandort Aurich: Nach rund zehn Jahren Partnerschaft trennten sich die Wege von Enercon und Nord wieder. Seit 1994 produziert der Antriebsanbieter komplett eigenständig in Aurich. „Und das mit großem Erfolg“, betont Werksleiter Gerhard Harms, der seit 1989 im Unternehmen tätig ist. „Schon 2005 mussten wir aus Platzgründen ins Gewerbegebiet Schirum umziehen.“ Dort ist das Werk auch heute noch angesiedelt. Um den steigenden Bedarf an Frequenzumrichtern decken zu können, wurde der Standort zweimal erweitert: im Jahr 2017 um zusätzliche Lager- und Büroflächen sowie nochmals 2020, um u.a. eine zweite SMD-Linie aufzubauen. Damit bringt es die Fabrik mittlerweile auf 7.500qm Produktions- und 1.400qm Bürofläche – der Platz auf dem Gelände ist so gut wie ausgereizt. „Stillstand herrscht bei der Weiterentwicklung der Fertigungstechnik trotzdem nicht“, versichert Harms. „Immer wieder werden Verbesserungen und Neuerungen umgesetzt – in der Regel bei laufender Produktion.“ Kürzlich ist z.B. eine automatisierte THT-Lötanlage in Betrieb gegangen.

Parallel zu den steigenden Stückzahlen müssen sich Harms und seine Mannschaft in den letzten Jahren neuen Herausforderungen stellen. Da sind etwa die Engpässe an Elektronik- und Halbleiterbaueteilen sowie die noch immer beeinträchtigen Lieferketten. „Im Vergleich zu anderen sind wir ziemlich gut durchgekommen“, kommentiert der Werksleiter. Dennoch habe man Verzögerungen nicht immer vermeiden können – trotz zeitnaher Redesigns und Software-Anpassungen. Seit 2022 entspanne sich die Situation aber zunehmend. Besserung auf dem Arbeitsmarkt sei hingegen kaum in Sicht. „Wir spüren den Fachkräftemangel genauso wie alle Unternehmen“, konstatiert Harms. Es bleibe nichts anderes übrig, als sich der Situation anzupassen. Deswegen hat Nord die Abläufe in der Montage noch schlanker aufgesetzt und die Tätigkeiten sehr genau und anschaulich dokumentiert. „Dadurch können wir den Fokus auf dem Arbeitsmarkt erweitern. Wer zuhause mit Lego Technik zurecht kommt, der kann auch bei uns in der Fertigung arbeiten“, so Harms mit einem Augenzwinkern.

Das Lager im Zentrum

Nicht nur die einzelnen Produktionsschritte, auch die gesamte Wertschöpfung bzw. der Warenfluss sind im Auricher Werk möglichst lean gehalten. „Aus einem technologischen Blickwinkel ist die Elektronikfertigung heute überall sehr ähnlich“, erzählt der Werksleiter. „Der entscheidende Unterschied findet sich in den Prozessen.“ In Aurich werden die Bauteile vom Wareneingang zur Zwischenlagerung an ein automatisches Kleinteilelager geschickt. „Dieses AKL ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Produktionsprozesses“, erklärt Harms. Denn die eingelagerten Bauelemente gehen von dort – passend zu den jeweiligen Aufträgen – in die SMT-Fertigung. Verlötet auf der Leiterplatte, kehren die Baugruppen wieder zurück ins AKL. Das gleiche wiederholt sich bei der Durchsteckmontage weiterer Bauteile in der THT-Fertigung: Fertig bestückt, landen die Boards dann auch wieder im AKL.

Anschließend sind im Prozess die verschiedenen Montagebereiche angesiedelt: Werkbankmontage, Assembly Line und Customizing. Rund die Hälfte der verkauften Geräte wird von Nord kundenspezifisch angepasst. „Der frühere Ansatz, möglichst große Stückzahlen zu erreichen, hat sich um 180° gedreht“, hebt Harms hervor. „Heute erfüllen wir selbst bei Kleinserien oder Einzelstücken fast jeden Wunsch.“ Diese Entwicklung reicht soweit, dass der Kunde im Konfigurations-Tool Frequenzumrichter komplett nach eigenen Vorstellungen generieren kann. Allen Elektroniklösungen gemein ist der abschließende Weg ins Prüffeld. Erst vollständig inspiziert und getestet treten sie über den Warenausgang ihre Reise nach Bargteheide oder direkt zu großen Eurpäischen Kunden an.

Weitere Ausbaustufe im Blick

Die Wachstumspläne von Nord sehen vor, dass die Auricher Fertigungskapazität von fast 400.000 Geräten im Jahr 2025 komplett ausgelastet ist. „Dann wäre die Erweiterung der Fabrik eigentlich nicht mehr möglich“, führt der Werksleiter aus, „wenn wir nicht schon den nächsten Plan in der Schublade hätten.“ Im vergangenen Jahr konnte Nord das Nachbargrundstück kaufen. Dort findet sich die Basis für die künftigen Ausbaustufen des Fertigungsstandorts. „Im Fokus steht dabei der weitere Ausbau der SMD- bzw. THT-Bestückung sowie eine Lagerlösung für Elektronik- und Halbleiterbauelemente“, verrät Harms – eine Voraussetzung, um mit dem weiteren Wachstums des Marktes mithalten zu können. Mittelfristig will Nord durch den Geländezukauf die Produktionskapazität der Umrichterproduktion nochmals verdoppeln. Und so den Fortbestand des Werks in Aurich sichern.


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