Forschungsinstitut baut Fabrik der Zukunft

Maschinenfabrik Made in Stuttgart

Bild: ISW Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen

Industrie 4.0 wurde im Rahmen der Hannovermesse 2011 als strategisches Ziel für die Zukunft der industriellen Produktionstechnik ausgegeben. Moderne Ansätze aus der Informations- und Kommunikationstechnik sollen auf die Operational Technology (OT) übertragen werden. In der Praxis leitet sich daraus die Notwendigkeit ab, die heterogene Landschaft an Systemen zur Steuerung, Überwachung und Optimierung interoperabel zu vernetzen. Die Realisierung verspricht völlig neue Möglichkeiten eine industrielle Produktion zu organisieren.

Die Umsetzung der Vision hinkt jedoch den Erwartungen hinterher. Die Realisierung kommt einem grundlegenden Paradigmenwechsel gleich, dessen Vollzug aufgrund hoher technischer Komplexität und einer großen Anzahl beteiligter Stakeholdern schwer zu erreichen ist. Die Stuttgarter Maschinenfabrik am Institut für Steuerungstechnik für Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Uni Stuttgart stellt ein konkretes Umsetzungsprojekt für Industrie 4.0 dar. Ziel ist es, Realisierungshürden zu überwinden und Potenziale aufzuzeigen, die durch den Vollzug des Paradigmenwechsels ausgeschöpft werden können.

In der Stuttgarter Maschinenfabrik lassen sich Produkte mit Losgröße 1 auf verschiedenen Maschinen mit unterschiedlichen Fertigungsverfahren und Montageprozessen herstellen. Architektonisch folgt der technische Lösungsansatz dem Grundgedanken die Produktionshardware und -software nach dem Vorbild der Virtualisierung aus der Informatik in drei Schichten aufzuspalten. Dabei wird die untere Schicht (technologische Infrastruktur) mithilfe einer Abstraktionsschicht konsequent von der oberen Schicht (Anwendungen) getrennt. Auf diese Weise entsteht ein modulares Ökosystem mit einem hohen Maß an Flexibilität. Die Aufgabe der technologischen Infrastruktur besteht darin, Rechenkapazitäten und Konnektivität bereitzustellen. Konkret sind das Rechenplattformen wie Feldgeräte, IPCs, Edge-Nodes und Cloudcomputer sowie Netzwerkkomponenten, z.B. Switche. Außerdem gehören dazu auch Technologien wie Containervirtualisierung, virtuelle Maschinen, OPC UA, TSN, WiFi oder 5G. In Kombination schafft die Infrastruktur die technologischen Voraussetzungen, um eine durchgängige Kommunikationsfähigkeit vom Sensor bis in die Cloud sowie die dynamische Verteilung von Berechnungsaufgaben auf verfügbare Ressourcen realisieren zu können. Die darüber liegende Abstraktionsschicht bildet diese Hard- und Softwareobjekte durch digitale Zwillinge ab. Sie stellt die Schnittstelle zwischen Infrastruktur- und Anwendungsschicht dar und ermöglicht die einfache Entwicklung von Anwendungen ohne konkrete Kenntnis der darunterliegenden Infrastruktur. Technisch realisiert werden die digitalen Zwillinge als Verwaltungsschalen, die sowohl Ressourcen (z.B. Produktionsmittel, Computer oder Netzwerktechnik) als auch Prozesse (Fertigung, Montage, Logistik) und Produkte beschreiben. Die Anwendungen verwenden die Abstraktionsschicht als Informationsquelle und legen ihre Ausgangsgrößen wiederum dort ab. Die Bandbreite möglicher Anwendungen ist enorm. Beispielhaft lassen sich Condition Monitoring, Verbesserung von Produktionsabläufen am digitalen Zwilling, virtuelle Produktfertigung zur Prädiktion der Qualität sowie virtualisierte Steuerungen nennen. Um davon eine bessere Vorstellung zu vermitteln, wird nachfolgend eine konkrete Anwendung im Detail beschrieben, die am Stand des ISWs auf der diesjährigen SPS in Nürnberg gezeigt werden soll.

Maschinenfabrik goes SPS

Traditionell stellt das ISW jährlich auf der SPS in Nürnberg Ergebnisse aus der universitären Forschung vor, die sich vor allem durch ihre industrielle Anwendbarkeit auszeichnen. In diesem Jahr dreht sich auf dem Stand des ISW alles um die Stuttgarter Maschinenfabrik, die mit einem Großteil der Maschinen vor Ort vertreten ist. Neben den Anwendungen (z.B. virtueller CNC-Kern, sprach- und webbasierte Produktkonfiguration, cloudbasierte Datenvisualisierung, digitale Zwillinge und Echtzeit-Deployment) die sich auf der obersten Schicht einordnen, wird die Verwaltungsschale als Bindeglied zwischen den Anwendungen und der Infrastruktur vorgestellt. Von besonderer Wichtigkeit um darüberliegende Schichten zum Leben zu erwecken ist eine neuartige technologische Infrastruktur. Steuerungstechnik aus der Cloud wird auf dem Messestand des ISW Realität. Mithilfe von Edge-Nodes, also echtzeitfähigen performanten Recheneinheiten, wird dies umgesetzt. Auf einer Edge-Node laufen containerisierte CNC-Kerne, die sich bei Bedarf einfach Updaten oder Austauschen lassen. Im Rahmen des Messeaufbaus werden zwei Fräsmaschinen mit Hilfe eines Edge-Nodes gesteuert. Die Kommunikation zwischen Edge-Node und Maschinen wird über TSN umgesetzt und erlaubt es, ein gemeinsames Netz für die Steuerung mehrerer Maschinen zu nutzen. Des Weiteren kann durch TSN sowohl die echtzeitkritische und weniger kritische Kommunikation über ein Netzwerk abgewickelt werden. Als weiteres Highlight erwartet die Besucher ein Laserbearbeitungszentrum, das sich durch eine FPGA-basierte CNC-Steuerung und redundante Achsen auszeichnet. Wie die beiden Fräsmaschinen ist auch die Lasermaschine vollständig in der Verwaltungsschale abstrahiert und somit für die Anwendungen zugänglich.

Das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) präsentiert die Stuttgarter Maschinenfabrik auf der diesjährigen SPS-Messe in Nürnberg vom 08. bis 10. November. Besucher können die Welt der Software-definierten Fabrik in Anwendung in Halle 6 an Stand 120 live erleben.

Artikelserie: Stuttgarter Maschinenfabrik

Teil 1: Die Stuttgarter Maschinenfabrik

(SPS-MAGAZIN 10/2022)

Teil 2: Abbildung durch Verwaltungsschalen

(SPS-MAGAZIN 11/2022)

Teil 3: Durchgängige Datenpipelines

(SPS-MAGAZIN 13/2022)

Teil 4: Echtzeitsteuerung aus der Cloud

(SPS-MAGAZIN 1/2023)

Teil 5: Safety aus der Cloud

(SPS-MAGAZIN 2/2023)

Teil 6: Cloud Manufacturing

(SPS-MAGAZIN 3/2023)