Interview mit Jörg Schreiber, Schmersal (Teil 2)

Interview mit Jörg Schreiber, Schmersal (Teil 2)

„Herstellerneutrales Safety-Dienstleistungsportfolio“

Im zweiten Teil unseres Interviews erläutert Jörg Schreiber, Director Strategic Market Development bei Schmersal, die vier Säulen des neuen Dienstleistungsangebots im Detail. Außerdem gibt er seine Erfahrungen weiter, wo er bei Maschinenbauern und -betreibern den größten Informationsbedarf hinsichtlich des Themas Maschinensicherheit sieht und liefert Argumente, warum es bei beiden Zielgruppen ganz oben auf der Agenda stehen sollte.
Das neu geschaffene tec.nicum basiert auf vier Säulen. Welche sind dies im Einzelnen und was beinhalten diese?

Jörg Schreiber: Wir haben hier im deutschsprachigen Raum das tec.nicum als reines Schulungszentrum bereits im Jahr 2006 gegründet. Über diese Schulungen hinaus sind wir nun auch beratend und planend tätig, hinzu kommt, falls gewünscht, noch die konkrete Umsetzung sicherheitstechnischer Lösungen. Den Namen tec.nicum wollten wir bewusst fortführen und haben diesen nun als Dachmarke etabliert. Der bisherige Schulungsbereich trägt jetzt den Titel tec.nicum academy. Im Schulungsbereich möchten wir unseren Kunden Basiswissen der Maschinensicherheit vermitteln, auf aktuelle Themen aufmerksam machen und Hintergrundinformationen über neue Entwicklungen liefern, die nicht selten rechtlicher Natur sind. Dabei kann es vorkommen, dass unsere Kunden nach einer Schulung erkennen, dass in ihrem Maschinenpark hinsichtlich des einen oder anderen sicherheitstechnischen Aspektes möglicherweise Optimierungen vorzunehmen sind. Auch dabei können wir natürlich unterstützen. Das ist auch der Übergang zu Säule Nummer 2, dem tec.nicum consulting. Hier bieten wir Dienstleistungen in Form von Beratungen an, in der Regel beim Kunden vor Ort. Beispielsweise führen wir dort eine Begehung des Maschinenparks durch und unterbreiten dann ein Angebot für die sich daraus ergebende Dienstleistung, z.B. eine Risikobeurteilung einer Applikation, oder ein Maschinen-Audit einer Einzelmaschine, eines Maschinenparks oder einer Prozesskette. Das Ergebnis ist in der Regel eine Dokumentation mit Handlungsempfehlungen, die unsere Kunden als Entscheidungsgrundlage nutzen können bei der Frage, wie sie die Optimierungsvorschläge in die Tat umsetzen wollen. Einige Kunden ’segeln‘ ab diesem Zeitpunkt alleine weiter, wenn sie über genügend eigene Ressourcen im Haus verfügen, um diese Handlungsempfehlungen umzusetzen. Häufig ist es aber auch so, dass ein Kunde – ob sofort oder erst zu einem späteren Zeitpunkt – auf uns zurückkommt und für die skizzierten Projekte oder Verbesserungsbereiche eine Design-Leistung anfragt. Dies ist dann die dritte Säule unserer Dienstleistungen, das tec.nicum engineering. Je nach Anwendungsfall übernehmen wir die technische Projektierung, die Validierung von Sicherheitsfunktionen nach ISO13849-2, das Retrofitting bestehender Maschinen und Anlagen, etwaige Messungen sowie technische Prüfungen. Am Ende erhält der Kunde dann eine Liste mit den Produkten, die im Sinne einer verbesserten Maschinensicherheit zu seiner Ausrüstung erforderlich sind, und kann diese Komponenten dann bestellen und installieren. Wenn ihm allerdings die Umsetzung und Montage selbst nicht möglich sein sollte, übernehmen wir für ihn gerne auch die Installation und Integration der Hardware-Komponenten in seine Anlage – vertreten in der vierten Säule, tec.nicum integration.

Fokussiert das neue Serviceangebot in erster Linie Schmersal-Produkte, oder ist es in Bezug auf die in die jeweiligen Maschinen zu integrierenden Lösungen anbieterneutral?

Schreiber: Wir haben uns eindeutig zum Ziel gesetzt, dass wir bei den ersten beiden Säulen stets die Herstellerneutralität verfolgen. Das ist sicherlich ein Differenzierungsmerkmal im Vergleich zu Anbietern ähnlicher Dienstleistungen. Ab der dritten Säule, dem Engineering, muss der Kunde allerdings Farbe bekennen und kundtun, welchem Hersteller er zugeneigt ist. Aber selbst wenn er sich dann, was wir natürlich bedauern würden, für Produkte entscheidet, die nicht von Schmersal hergestellt werden, würden wir unsere Dienstleistungen weiter zur Verfügung stellen. Damit wird deutlich, dass es sich bei tec.nicum um einen eigenständigen Geschäftsbereich handelt, in dem die Dienstleistungen tatsächlich herstellerunabhängig angeboten werden.

Wie kann man sich die Trainingsprogramme der academy vorstellen? Sind diese für alle Schulungsteilnehmer gleich oder kundenspezifisch ausgerichtet?

Schreiber: Sicherlich gibt es im Bereich academy einige Standardthemen, die ich als Maschinen-Safety-Basics bezeichnen würde und die Jahr für Jahr einen soliden Grundstein bilden. Aber selbstverständlich nehmen wir auch immer wieder sogenannte Hot Topics ins Programm auf. Hierbei setzen wir uns regelmäßig zusammen und erörtern intern, welches solche aktuellen Themen sind – z.B. die neue Betriebssicherheitsverordnung, die seit einigen Monaten in Kraft ist, oder das Thema DIN14119 ‚Überwachung von Schutztüren an Maschinen‘. Übrigens veranstalten wir diese Schulungen nicht nur zentral hier in Wuppertal, sondern an weiteren eigenen Standorten sowie auch als ‚tec.nicum on tour‘, wo wir zu bestimmten Kernthemen Schulungen an zehn bis 15 neutralen Standorten in der gesamten Republik anbieten. Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich zudem In-House-Seminare bei Kunden, wo wir themenspezifische Schulungen zum Stand der Technik oder branchenspezifisch, beispielsweise für die Lebensmittel- und Getränke- oder Verpackungsindustrie, durchführen.

Aus Ihren Erfahrungen der letzten Jahre heraus: Wo sehen Sie bei Maschinenbauern und -betreibern den größten Informationsbedarf, wenn es um die Maschinensicherheit geht? Oder anders gefragt: Machen Sie bei Ihrer täglichen Arbeit häufig die Erfahrung, dass installierte Safety-Lösungen ihre Wirkung verfehlen, weil bei der Installation entscheidende Grundlagen nicht beachtet wurden?

Schreiber: Wir haben viele namhafte Kunden, die das Thema Sicherheit sehr gut inkorporiert haben und von Anfang an mit dem ersten Bleistiftstrich bei der Projektierung ein Sicherheitskonzept in ihrem Maschinenpark berücksichtigen. In solchen Fällen ist die Sicherheitskette – also Sensoren oder Zuhaltungen, etc. in Kombination mit einer sicheren Auswertung – schon in einer vorbildlichen Weise eingearbeitet. Dies ist aber leider nicht die Regel. Es gibt auch Maschinenbauer, die das Thema Sicherheit immer noch ganz am Ende ihrer Konstruktionskette ansiedeln. Dort sind dann die Anlagen oft schon fertiggestellt, und die Sicherheitstechnik wird dann, salopp gesagt, im Nachhinein noch rasch ‚angebastelt‘. Nicht selten sind wir zudem konfrontiert mit Maschinenimporteuren, die z.B. in Fernost ein vermeintliches Schnäppchen gemacht und ein Bearbeitungszentrum zu einem überschaubaren Preis erstanden haben. Diese haben spätestens beim Zoll, teils technisch, teils aber im Hinblick auf die CE-Zertifizierung z.B. aufgrund fehlender oder unvollständiger Dokumentationen erhebliche Probleme. Hier müssen wir dann nicht selten als Feuerwehr in die Bresche springen und schauen, ob wir die Einfuhr der Maschine noch retten können. Wird das Thema Maschinensicherheit nicht von Anfang an mit eingeplant, werden nicht nur viele Chancen hinsichtlich Bedienpersonal- und Manipulationssicherheit vertan. Auch mit Blick auf das omnipräsente Thema Industrie 4.0 verhilft eine sorgfältig geplante Sicherheitskette zu Wettbewerbsvorteilen, die durch eine behelfsmäßige nachträgliche Installation verschenkt werden. Denn diese sind in der Regel weniger effizient als solche sicherheitstechnischen Lösungen, die konzeptionell von vornherein berücksichtigt wurden.

Schrecken Maschinenbauer vielleicht vor einer sorgfältig geplanten Sicherheitstechnik zurück, weil sie die Kosten dafür an ihre Endkunden weitergeben müssen und so einen Wettbewerbsnachteil befürchten?

Schreiber: Das Pendant zu den Total Cost of Ownership sind möglicherweise die Total Cost of Engineering. Es wäre interessant einmal zu eruieren, wie hoch der finanzielle Aufwand ist, wenn eine Sicherheitslösung erst in Nachhinein installiert wird. Zweifellos ist es ökonomischer, die Sicherheitstechnik bereits bei der Anlagenplanung zu berücksichtigen. Anfangs erscheint dies möglicherweise als der kostspieligere Ansatz, am Ende ist die zweite Variante aber deutlich wirtschaftlicher. Denn neben dem Schutz für die Bediener zielt die Maschinensicherheit noch auf einen weiteren essenziellen Punkt ab: die Prozesseffizienz. Gegen äußere Einflüsse sicher geschützte Produktionslinien bieten eine hohe Verfügbarkeit und sind am Ende sehr zur Freude aller Beteilligten ungleich wirtschaftlicher.


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