„Es geht um Millisekunden“

Sicherheitslichtgitter: Was bei der Installation zu beachten ist

„Es geht um Millisekunden“

Sicherheitslichtgitter werden heute vielfach in Produktionsanlagen eingesetzt, um das Bedienpersonal von Maschinen und Anlagen vor potenziellen Gefahren zu schützen und somit Unfälle zu vermeiden. Christian Fiebach, Geschäftsführer von IPF Electronic, weiß allerdings auch, dass in der Praxis im Hinblick auf die fachgerechte Installation von Sicherheitslichtgittern häufig Fragen auftreten. Im Interview geht er daher darauf ein, was grundsätzlich bei der Installation solcher Systeme zu beachten ist.
Herr Fiebach, neben einer Vielzahl an anderen Sensoriklösungen bietet IPF Electronic seit einigen Jahren auch Sicherheitslichtgitter an. In diesem Zusammenhang weisen Sie Anwender immer auch auf eine fachgerechte Installation hin. Warum?

Christian Fiebach: Wir sehen uns als Anbieter dieser Systeme in der Pflicht, immer auch die Sensibilität des Kunden zu wecken und auf das Thema der korrekten Installation aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang entstehen in der Praxis immer wieder Fragen, da eine Installation ohne Berücksichtigung einiger grundlegender Regeln und Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz gewährleistet.

Was gilt es bei der Montage eines Lichtgitters denn zu beachten?

Fiebach: Die grundsätzliche Frage, die sich ein Anwender zunächst stellen muss, lautet: Was will ich absichern bzw. welches Gefährdungspotenzial liegt im konkreten Fall vor? Hieraus ergibt sich ein sogenannter Performance Level, dem die zu installierenden Komponenten genügen müssen. In diesem Kontext bieten wir unseren Kunden Sicherheitslichtgitter mit dem Performance Level e bzw. der Kategorie-4-Einstufung an, die den maximalen Anforderungen in diesem Bereich entsprechen. Damit ist man sozusagen immer auf der sicheren Seite. Der Kunde hat hierbei die Wahl zwischen Sicherheitslichtgittern für den Finger-, Hand- oder Körperschutz. Dabei stellt sich automatisch die Frage, in welcher Entfernung das gewählte System von einer Gefahr bringenden Bewegung, z.B. einem beweglichen Maschinen- bzw. Anlagenteil, installiert werden sollte. Hierfür gibt es eine Berechnungsformel, mit der ich den erforderlichen Mindestsicherheitsabstand ermitteln kann, sie lautet: S = K (t1 + t2) + C.

Was bedeuten die genannten Werte konkret?

Fiebach: Ich erkläre dies einmal an unseren Sicherheitslichtgittern OY32 für den Finger- oder Handschutz. Der Faktor K steht für die Annäherungsgeschwindigkeit, also der Geschwindigkeit, mit der sich das zu erfassende Objekt – in diesem Fall die Finger oder Hände als zu schützende Körperteile – dem Gefahrenbereich nähert. Gemäß ISO13855:2010 beträgt dieser Wert 2.000mm/s. Weiterhin enthält die Formel die beiden Variablen t1 und t2. Erstere ist die Ansprechzeit des Sicherheitslichtgitters in Sekunden. Dieser Wert ist herstellerübergreifend auf jedem Sicherheitslichtgitter aufgeführt. Auf den Faktor t2 komme ich gleich noch zu sprechen. Faktor C ist der zusätzliche Abstand, der die Möglichkeit berücksichtigt, dass ein Körper oder Körperteil vor dem Ansprechen der Schutzeinrichtung in den Gefahrenbereich gelangt. Wird z.B. ein System der Variante Handschutz installiert, so beträgt die Auflösung 30mm. Es ist demnach denkbar, dass die Finger einer Hand in den Gefahrenbereich gebracht werden, ohne dass die Schutzeinrichtung auslöst. Für Einrichtungen mit einer Auflösung 40mm wird der Faktor C nach der Berechnungsgrundlage 8 x (d – 14) bestimmt – d steht hierbei für die Auflösung des Lichtgitters. Diese erhält der Kunde ebenfalls von uns. Bei den Systemen für den Hand- und Fingerschutz sind dies z.B. 30 bzw. 14mm. Jetzt kommen wir zum Faktor t2, der Nachlaufzeit der Maschine in Sekunden.

Was ist mit Nachlaufzeit gemeint?

Fiebach: Das ist eine Frage, die sich auch unsere Kunden des Öfteren stellen. Gemeint ist damit die Zeit, die vom Auslösen des Sicherheitslichtgitters, z.B. durch einen Eingriff oder Eintritt in einen Gefahrenbereich, bis zum absoluten Stillstand einer Gefahr bringenden Bewegung einer Maschine oder Anlage vergeht. Anwender von Sicherheitslichtgittern sind mitunter der Auffassung, dass eine Maschine bei einem Notstopp, ausgelöst durch ein Sicherheitslichtgitter, sofort still steht. Das ist aber in der Regel nicht der Fall. In der täglichen Praxis geht es hierbei nicht um Sekunden, sondern um Millisekunden, die eine Anlage bis zum absoluten Stopp benötigt. Grundsätzlich gilt: Jede Millisekunde, die an einer Maschine oder Anlage bis zum absoluten Stopp vergeht, erhöht den erforderlichen Abstand zum Gefahr bringenden Bereich bzw. zur Gefahr bringenden Bewegung. Die Nachlaufzeit ist also eine sehr wichtige Größe bei der fachgerechten Installation eines Sicherheitslichtgitters. So können beispielsweise verschiedenste Bearbeitungsprogramme und die hierfür eingesetzten Werkzeuge einen Einfluss auf die jeweilige Nachlaufzeit einer Maschine oder Anlage haben. Die Nachlaufzeit lässt sich aber mit entsprechenden, im Markt erhältlichen Messgeräten exakt ermitteln. Wir arbeiten in diesem Bereich mit Partnern zusammen, die, falls es einer unserer Kunden wünscht, die Nachlaufzeit einer Anlage exakt ermitteln und darüber hinaus für die fachgerechte Installation einer Schutzeinrichtung sorgen. Die Nachlaufzeit wird dann mittels Typenschild oder Aufkleber auf einer Anlage vermerkt. Gerade in sehr gefahrträchtigen Bereichen wie Pressen oder Stanzen muss die Nachlaufzeit und die fachgerechte Installation der Schutzeinrichtungen regelmäßig überprüft werden, um den sicheren Betrieb der Anlage zu gewährleisten. Wie gesagt: Sicherlich kann ein Anwender die Nachlaufzeit seiner Maschine auch selber ermitteln. Er benötigt dazu allerdings die entsprechenden Geräte und geschultes Personal.

Weisen Sie Ihre Kunden bei Auslieferung der Produkte immer auf die bislang genannten Punkte hin?

Fiebach: Im Grunde schon, da jedem System eine Bedienungsanleitung mit entsprechenden Ausführungen beiliegt. Allerdings zeigt die Praxis, dass diese Hinweise nicht immer sorgfältig gelesen werden. Nehmen Kunden mit uns bezüglich der Installation Kontakt auf oder sprechen sie unsere Außendienstmitarbeiter zu einem konkreten Anwendungsfall an, sensibilisieren wir unsere Ansprechpartner speziell für diese Punkte und die Mindestabstände, die nicht unterschritten werden dürfen. Grundsätzlich gilt hierbei aber immer, dass der Installationsabstand eines Sicherheitslichtgitters zur Gefahr bringenden Bewegung sich maßgeblich an der gewünschten Schutzfunktion orientiert. Beim Handschutz muss dieser Abstand größer sein, als beim Fingerschutz. Beim Körperschutz muss der Mindestabstand zur gefahrbringenden Bewegung immer mindestens 850mm betragen, ganz gleich, welcher Wert aus der genannten Formel errechnet wurde. Und auch beim Hand- und Fingerschutz gibt es über einen eventuell berechneten Wert hinaus einen Mindestabstand, der unbedingt einzuhalten ist. Dieser beträgt 90 bzw. 70mm.

Wird dies denn erfahrungsgemäß berücksichtigt oder eher vernachlässigt?

Fiebach: Lassen Sie es mich so formulieren: Es sollte im Interesse aller berücksichtigt werden. Unser Außendienst kann den Kunden nur für dieses Thema sensibilisieren und auf die Vorgaben der Normen hinweisen. Nehme ich z.B. als Unternehmen eine Stanze in Betrieb, an der meine Mitarbeiter arbeiten sollen, dann bin ich als Unternehmer für die Sicherheit dieser Mitarbeiter verantwortlich und muss demnach dafür Sorge tragen, dass auch die Anlage sicher ist. Aus produktionstechnischer Sicht sind die Lichtgitter – etwa im Vergleich zu Schutztüren – für eine Absicherung ideal geeignet, da keine mechanischen Hindernisse vorhanden sind, die z.B. beim Umrüsten stören könnten, und trotzdem Personen geschützt werden. Vorausgesetzt, ich befolge bestimmte Regeln, wenn es um die Installation geht. Wie gesagt: Es geht in diesem Bereich um Millisekunden.

Kann man die Häufigkeit von falschen Installationen in irgendeiner Weise beziffern?

Fiebach: Nein, eigentlich nicht. Wenn etwas bei der Installation verkehrt gemacht wurde, fällt das in der Regel erst auf, wenn tatsächlich ein Unfall passiert. Der Maschinenbau kennt sicherlich die einschlägigen Vorschriften und Regeln, zumal hier geschultes Personal zur Verfügung steht. Ein Maschinenbauer darf seine Anlage nur mit einem CE-Kennzeichen versehen, wenn er diese Dinge berücksichtigt hat. Im produzierenden oder Endkundenbereich ist das auch ein bisschen von der Unternehmensgröße abhängig. Bei größeren Unternehmen hat man zumeist einen Sicherheitsbeauftragten, der sich ausschließlich um die Themen Arbeitssicherheit und Unfallverhütung kümmert. Dieser ist dann entsprechend geschult und im Zweifelsfall auch der Ansprechpartner für seine Kollegen im Betrieb, wenn es um die Installation eines Sicherheitslichtgitters geht. Bei kleineren Betrieben liegt dieser Verantwortungsbereich häufig in der Hand der Instandhalter und hängt somit vom individuellen Kenntnisstand solcher Mitarbeiter ab.

Viele Kunden sind möglicherweise auch durch die Plug&Play-Welle, die auch die Automatisierungstechnik erreicht hat, ein wenig verwöhnt, was die fachgerechte Installation anbelangt…

Fiebach: Dies ist sicherlich auch ein Grund, warum die Installation von Schutzeinrichtungen immer wieder Fragen aufwirft, weil hier Plug&Play eben nicht funktioniert. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Mindestsicherheitsabstand zu einem Gefahr bringenden Bereich korrekt ermittelt wurde, aber man letztendlich zu dem Schluss gelangt, dass damit die praktische Arbeit an der Maschine kaum zu bewältigen ist. In solchen Fällen ist man mitunter geneigt, es nicht ganz so genau mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand zu nehmen. Das ist natürlich extrem gefährlich. Zumal es auch für solche Szenarien Lösungen gibt, z.B. indem man durch konstruktive Maßnahmen an der Maschine den tatsächlich erforderlichen Sicherheitsabstand zum Gefahrenbereich verringert oder mit schnelleren Schaltelementen die Nachlaufzeit einer Maschine verkürzt. Für solche Fälle sind unsere externen Partner die Experten.

Warum tritt IPF Electronic nicht selber als Servicedienstleister bei der Installation der Sicherheitslichtgitter auf?

Fiebach: Dies ist eine unternehmensstrategische Entscheidung. Hierzu müsste man eine eigene Serviceabteilung aufbauen, was aus unserer Sicht wenig Sinn macht, da die Zusammenarbeit mit unseren Partnern sehr gut funktioniert.

Seit wann bieten Sie Sicherheitslichtgitter an?

Fiebach: Seit rund zehn Jahren. Direkt am Anfang war uns aber auch klar, dass hierfür ein entsprechender Service erforderlich ist. Wir haben uns daher entschieden, dies mithilfe von kompetenten Servicepartnern zu tun. Für diese Partner ist das durchaus lukrativ, wenn wir z.B. an den Bereich Pressen und Stanzen mit den jährlichen Inspektionsintervallen denken. Außerdem kann ein solcher Service zu einem sehr komplexen Thema werden, wenn zum Beispiel gefordert wird, ein Sicherheitssystem in das Gesamtkonzept einer größeren Anlage einzubinden. Oder wenn in einer Anwendung festgestellt wird, dass die vorhandene Steuerungstechnik so veraltet ist, dass sie im Prinzip ausgetauscht werden müsste, um ein funktionstüchtiges Sicherheitssystem zu gewährleisten. Unter Umständen wird durch die Installation eines solchen Sicherheitssystems der Bestandsschutz einer Anlage aufgehoben, und dann sind völlig neue Vorkehrungen notwendig, um den Normen zu genügen. Unsere Partner können solche oder ähnliche Anforderungen bewältigen. Für uns besteht daher keine Notwendigkeit, diese erfolgreiche Strategie bzw. Zusammenarbeit zu ändern.

Was tut sich denn technologisch auf dem Gebiet der Sicherheitslichtgitter?

Fiebach: Die Entwicklungsgeschichte der Systeme brachte einige Funktionen mit sich wie z.B. der Takt- oder Folgebetrieb. Nehmen wir etwa einen Schweißautomaten, bei dem drei Teile eingelegt werden müssen. Hier würde das Sicherheitssystem durch das Einlegen der Teile drei-mal unterbrochen. Normalerweise wäre es so ausgelegt, dass bei einem Eingriff die Anlage zum Stillstand käme und erst beispielsweise durch ein manuelles Quittieren seitens des Bedieners wieder anläuft. Beim Takt- und Folgebetrieb kann ich vorher festlegen, wie oft das Lichtgitter in einem bestimmten Zeitrahmen unterbrochen werden darf. Andere Beispiele sind die Muting- oder die Blanking-Funktion. Bei Muting handelt es sich um eine Überbrückungsfunktion, die eine zeitlich begrenzte Überbrückung der Schutzfunktion mithilfe zusätzlicher Sensorik ermöglicht, um Gegenstände quasi durch das Lichtgitter zu schleusen. Bei Blanking können Teilbereiche des Lichtgitters unscharf gestellt werden, wenn etwa bei einer Anwendung Maschinenteile standardmäßig die Strahlen eines Lichtgitters unterbrechen würden und die Schutzfunktion daher permanent ausgelöst würde. Heute gibt es Systeme, die alle diese Funktionen kombinieren. Dann habe ich sozusagen die eierlegende Wollmilchsau, wobei es sich dabei normalerweise um sehr komplexe Lösungen handelt, die in der Regel durch eine spezielle Software parametriert werden muss. Daraus ergibt sich bei einem Austausch eines Lichtgitters die Anforderung an den Instandhalter, dass er nicht nur die Software kennen und beherrschen muss, sondern dass er auch genau weiß, wie und mit welcher Funktionalität das Lichtgitter eingestellt werden muss. Um es hier einfach zu halten, bieten unsere Sicherheitslichtgitter nur die einfache Schutzfunktion, bei der ein Austausch quasi Plug&Play funktioniert. Allerdings können Takt- oder Folgebetrieb sowie Muting-Funktion durch spezielle zusätzliche Sicherheitsrelais realisiert werden. Eine Blanking-Funktion bieten wir hingegen nicht an, da diese bei uns zu wenig nachgefragt wird.


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