Unter der Lupe

Telegrammverlust

Zum Verständnis kurz ein Rückblick in das Jahr 2005. Zu diesem Zeitpunkt hat I-V-G Göhringer mit der Profinet-Diagnose begonnen und schon damals mit den unterschiedlichen Werkzeugen festgestellt, dass immer wieder Telegramme fehlten, welche definitiv vorhanden sein mussten. „Wir haben die gekauften Geräte zurückgeschickt und reklamiert, haben unseren eigenen Rechner untersucht, haben andere Geräte gekauft und sind letztlich zu keiner funktionierenden Lösung gekommen“, blickt Göhringer zurück. Die Situation hat sich allmählich gebessert und mit der Zeit wurden die Werkzeuge immer besser – heute sind eine Reihe brauchbarer Analyse-Tools mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen auf dem Markt. Ganz behoben sind die Schwachstellen jedoch noch nicht, wie sich Anfang 2016 zeigte. Im Rahmen eines Kundenauftrages untersuchte Göhringer eine Profinet-Anlage mit einem damals neu gekauften Profinet-Analyser. „Im Zuge der verschiedenen Messungen haben wir immer wieder erstaunt auf unsere Ergebnisse geblickt“, berichtet Göhringer aus seinem Troubleshooting-Einsatz und fährt fort: „Nach einer gewissen Zeit war uns klar, dass wir uns die passiven Eigenschaften der Messstellen genauer anschauen müssen.“ Aus zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannten Gründen gingen während der Messung Telegramme verloren. Der Fehler war reproduzierbar. Alle Geräte des Kunden zeigten das gleiche Ergebnis. Daraufhin wurden die Messstellen und Geräte verschiedener Anbieter mittels eines Kabelzertifizierers getestet. Dazu wurden jeweils vor und nach dem TAP zwei Meter Profinet-Kabel angeschlossen und dann anhand der Kabelspezifikation des Profinet-Kabels durchgemessen. Die Überlegung war dabei, dass die Geräte mit und ohne Spannung vollkommen rückwirkungsfrei arbeiten müssen. „Was wir da gefunden haben, hat uns sehr verwundert. Da wurden Geräte zur Diagnose eingebaut, die selber Fehler im Datenverkehr verursachen“, fasst Göhringer die Ergebnisse zusammen. Viele Messstellen für Diagnose-Tools, die sensibelsten Stellen im gesamten Netzwerk überhaupt, haben die Eigenschaft ‚passiv‘ gar nicht erfüllt.

Bei den Automation-Workshops 2017 bietet I-V-G G?hringer Praxis-Workshops zu verschiedenen Netzwerk- und Feldbusthemen an. (Bild: I-V-G G?hringer)
Bei den Automation-Workshops 2017 bietet I-V-G Göhringer Praxis-Workshops zu verschiedenen Netzwerk- und Feldbusthemen an. (Bild: I-V-G Göhringer)

Messstellen nicht rückwirkungsfrei

Die Auffälligkeiten diverser Geräte wurden von I-V-G näher untersucht. An verschiedenen Probanden wurde mit dem Kabelzertifizierer ein Kurzschluss zwischen den Datenleitungen festgestellt. Der Kurzschluss alleine ist schon problematisch, aber es gab auch ein Gerät, bei dem vier unterschiedliche Resonanzfrequenzen ermittelt wurden. Jeweils zwei auf der Empfangsleitung des kommenden Ports und zwei auf der Empfangsleitung des abgehenden Ports. Diese können sich unter dem Einfluss der Luftfeuchtigkeit im Feld noch leicht verändern. Wird nun ein Kabel mit einer zufällig ungünstigen Länge eingesetzt, kann es zu einer Schwingung kommen, welche die Kommunikation stört und zum Ausfall führt. Wird das Kabel verlängert oder verkürzt, kann der Fehler weg sein oder stärker in Erscheinung treten. In manchen Fällen kann sogar ein anderes Kabel, das die Norm gar nicht erfüllt, zu einem funktionierenden Netzwerk führen. Jeder Anwender, der schon einmal Messergebnisse hatte, für die es keine Erklärung gab, sollte jetzt hellhörig werden.

90 Prozent der Ethernet TAPs fehlerhaft

Von Anfang 2016 bis Anfang 2017 hat sich der Kreis der auffälligen Geräte erweitert – über 90 Prozent der im Feld angetroffenen TAPs von zehn verschiedenen Herstellern zeigten Kurzschlüsse. Nun standen die Netzwerk- und Feldbusexperten vor der Frage, wie sie mit dem Thema umgehen. „Wir wollten die Anwender schnellstmöglich informieren, damit sie bei Messproblemen wissen, woran sie sind und auf was sie achten müssen,“ sagt Göhringer. „Auf keinen Fall wollten wir mit dem Finger auf andere zeigen, das entspricht nicht unseren Grundsätzen. Daher haben wir die uns bekannten Hersteller direkt über die Ergebnisse informiert.“ Gleichzeitig hat I-V-G Göhringer selbst einen TAP entwickelt und Anfang 2017 die neue Messstelle BS-0130 präsentiert. Sie ist frei von Kurzschlüssen und ermöglicht den unterbrechungsfreien Anschluss eines Diagnosegerätes im laufenden Betrieb. Das Netzwerk wird durch Spiegelung des Ethernet-Verkehrs nicht beeinflusst, auch wenn an dem Gerät keine Spannungsversorgung anliegt. Gegenüber Switches mit aktiviertem Mirror-Port stellt die Messstelle BS-0130 sicher, dass die zeitliche Abfolge des Netzwerkverkehrs erhalten bleibt und bei hoher Netzwerklast oder Telegrammfehlern keine Telegramme verworfen werden. Das Verhalten der Messstelle ist sowohl im bestromten als auch im unbestromten Zustand vollkommen passiv. Von der Firma Hilscher wird ebenfalls ein rückwirkungsfreier TAP angeboten. Auf der Hannover Messe 2017 hat die Firma Siemens einen neuen TAP vorgestellt, der die geforderten Eigenschaften aufweist. Die schnelle Reaktion zeigt, dass das Thema mit den Kurzschlüsse von den Herstellern ernst genommen wird.