Mit Hilfe von Downstream-Kompensation zur ausschussfreien Fertigung

Automatisierte Null-Fehler-Fertigung

Die zunehmende Digitalisierung in Industrie und Gesellschaft treibt auch den Wandel in der Produktion voran. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Unternehmen hinsichtlich einer effizienten und ressourcenschonenden Herstellung hochwertiger und individueller Produkte. Eine wettbewerbsfähige Produktion muss in der Lage sein, schnell auf Marktveränderungen und Kundenwünsche zu reagieren und dennoch kostengünstige Produkte anbieten zu können. Der Trend zur Individualisierung führt aber auch zu einer zunehmenden Komplexität der Produktionsprozesse und Prozessketten, was das Auftreten von Fehlern begünstigt. Um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es wichtig, eine möglichst fehlerfreie Produktion zu erreichen. In der Vergangenheit wurden Methoden wie Six Sigma erfolgreich zur Qualitätssicherung eingesetzt. Sie betrachten die Produktion jedoch als statische Systeme und können mit dem heutigen Verständnis von Produktion und Industrie 4.0 als dynamisches und flexibles Gesamtsystem nur bedingt genutzt werden. Das von der Europäischen Union im Rahmen des Clusters Horizon 2020 geförderte Projekt ForZDM hat sich mit dieser Thematik die letzten vier Jahre beschäftigt. Ziel war es, flexiblere und umfassendere Methoden zu entwickeln, die das dynamische Umfeld der Produktion berücksichtigen und den Anforderungen an eine fehlerfreie, kundenspezifische Produktion mit gleichzeitig hohem Kostendruck und Nachhaltigkeit, gerecht werden. Hierzu wurde das Grundprinzip der Null-Fehler-Fertigung (Zero-Defect Manufacturing – ZDM) herangezogen und weiterentwickelt, um speziell die Fähigkeiten mehrstufiger Produktionssysteme zu nutzen, die eine Kompensation von entstandenen Bauteilabweichungen entlang des Materialflusses (Downstream-Kompensation) ermöglicht.

Berücksichtigung sämtlicher Prozesse

In der Vergangenheit lag der Schwerpunkt auf der Optimierung einzelner Prozesse durch den Einsatz verschiedener Arten von Prozessregelungen innerhalb der Fertigung. Aber auch nach der Optimierung eines einzelnen Prozesses treten Fehler in Form von Abweichungen auf, die nicht alle vorhersehbar sind und deren Ursache oft nicht ad hoc erkannt werden kann. Diese Abweichungen, die durch verschiedene Faktoren verursacht werden können, werden je nach verfügbaren Messsystemen oft erst spät oder gar nicht erkannt. Da das fehlerhafte Produkt anschließend weiterhin seinen vorgesehenen Produktionsprozess durchläuft, können daraus weitere Fehler entstehen, was in vielen Fällen zu Ausschuss oder enorm hohen Kosten durch Nacharbeit führt. Um eine solche Nacharbeit am Ende des eigentlichen Produktionsprozesses zu vermeiden, konzentriert sich der ZDM-Ansatz auf die globale Verbesserung des mehrstufigen Produktionssystems unter Berücksichtigung aller Prozesse und ihrer Möglichkeiten. Durch die frühzeitige Erkennung möglicher Fehler kann die Vermeidung oder Kompensation dennoch auftretender Fehler durch Berücksichtigung aller Fähigkeiten des Systems erreicht werden.

Downstream-Kompensation in der Praxis

Am Beispiel der Produktion einer Turbinenwelle wurde innerhalb von ForZDM eine Methode entwickelt, die sogenannte Downstream-Kompensation, die sich auch auf andere Produktionssysteme von rotierenden Bauteilen übertragen lässt. Zunächst werden jegliche Informationen über das Produktionssystem und Bauteil in einer Datenbank gesammelt und der entwickelten Web-App zur Modellierung des Bauteils und Produktionssystems zur Verfügung gestellt. Das Bauteil wird mit Hilfe eines parametrischen Modells für jeden Zustand der zahlreichen Prozesse beschrieben und kann somit als digitaler Zwilling des Bauteils betrachtet werden. Dieser dient hauptsächlich während des gesamten Produktionsprozesses als Basis für den Vergleich von Soll- und Ist-Zustand und somit zur Fehleridentifikation und Qualitätskontrolle. Das Produktionssystem wird so modelliert, dass die Fähigkeiten der unterschiedlichen Prozesse abgebildet sind und auf sogenannte Features des digitalen Zwillings gemappt werden können. Diese werden im Falle einer Bauteilabweichung zur Identifikation von Kompensationsmöglichkeiten herangezogen. Zum Schluss werden die Messsysteme den Bauteil-Features zugeordnet um letztendlich den Soll-Ist-Vergleich des Bauteils zu ermöglichen.

Diese Informationen werden einer zweiten Web-App zur Verfügung gestellt, die zusätzlich mit Live-Daten aus der Produktion versorgt wird. Das zweite Tool wurde speziell zur Auswertung der Daten entwickelt, um einerseits interstationäre Zusammenhänge zu identifizieren die aus der Modellierung nicht erkannt wurden. Andererseits für erkannte Bauteilabweichungen eine Kompensationsstrategie zu identifizieren, die eine Reparatur des Bauteils entlang des Produktionssystems ermöglicht. Es werden Algorithmen wie zum Beispiel die Hauptkomponentenanalyse oder Entscheidungsbäume eingesetzt, um statistische Informationen aus den verfügbaren Datensätzen zu extrahieren. Die Maschinen wurden zudem mit neuen CNC-Funktionalitäten ausgestattet um gewisse Zyklen für bspw. geometrische Fehler automatisiert ausführen zu können, ohne individuelle Fertigungsszenarien entwickeln zu müssen. Für die Validierung wurden 200 Turbinenwellen mit jeweils 300 bauteilbeschreibenden Parametern verwendet.

Fazit und Ausblick

Bisher funktioniert dieser Ansatz bei bestehenden Produktionssystemen, die eine ausreichende Datenbasis produzierter Bauteile zur Verfügung stellen. Diese ist notwendig um interstationäre Zusammenhänge zu identifizieren und auch allgemein Wissen aus dem System zu extrahieren. Mit einem Blick in die Zukunft wäre es aber auch möglich, Produktionssysteme für rotierende Bauteile bereits parallel zur virtuellen Inbetriebnahme auf Basis des digitalen Zwillings, mit bekannten Fehlern zu beaufschlagen und die Downstream-Kompensationsmethode bereits bevor das reale mehrstufige Produktionssystem aufgebaut ist anzuwenden. Der Vorteil wäre, das Wissen über Kompensationsmöglichkeiten bereits in einer frühen Phase zu generieren, das geplante mehrstufige Produktionssystem zu optimieren und für die reale Produktion vorbereitet zu sein, ohne die notwendige Datenbasis am realen System aufzeichnen zu müssen.

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