Himmelsleiter in die Cloud

SPS-Einsatz und Cloud-Services

Himmelsleiter in die Cloud

Das Industrial IoT gewinnt Stück für Stück an Gestalt. Die Basistechnologien untermauern das Konzept einer umfassenden Vernetzung und dabei werden Ethernet, Internet-Anschluss und Cloud-Zugang im Shop Floor zum Standard. Ein differenzierter Blick zeigt den realen Nutzen von Cloud-Services im SPS-Umfeld auf.

Das NIO Gateway macht Daten aus SPS-Systemen und Sensorik über Cloud-Plattformen wie IBM Bluemix, für Anwendungen im Industriellen IoT Umfeld nutzbar. (Bild: Spectra GmbH & Co. KG)
Das NIO Gateway macht Daten aus SPS-Systemen und Sensorik über Cloud-Plattformen wie IBM Bluemix, für Anwendungen im Industriellen IoT Umfeld nutzbar. (Bild: Spectra GmbH & Co. KG)

Die Idee hinter der Fabrik der Zukunft, wie sie in Industrie 4.0 und Industrial Internet of Things (IoT) adressiert wird, ist schnell benannt: Sie basiert auf flexiblen, konfigurierbaren Produktionssystemen, deren Komponenten mitdenken, miteinander kommunizieren und sich automatisch anpassen. Die Grundlage hierzu liefern die jüngsten Trends in der Informations- und Softwaretechnik. Zu nennen sind hier insbesondere die Analyse durch Kombination von Daten unterschiedlicher Ebenen sowie das Betreiber-Konzept des Cloud Computing, bei dem über das Internet der Zugriff auf ‚unendliche‘ Ressourcen geboten wird. Vor dem Hintergrund der Entwicklung stellt sich natürlich die Frage nach der Zukunft und den Auswirkungen für den Einsatz von SPSen. Laufen durch die stärkere Gewichtung der Software nun Industrie-PC-basierte SoftPLCLösungen endgültig den traditionellen SPS-Systemen den Rang ab? Wird eine SPS künftig vielleicht sogar nur noch als reiner Software-Dienst realisiert, der über die Services einer Cloud-Plattform bereitgestellt wird? Eine allgemeingültige und – vor allen Dingen – eindeutige Antwort auf diese Frage lässt sich nicht formulieren. Das liegt zum einem an dem vielfältigen Einsatzspektrum der industriellen Automatisierung, das sich von einfachen Aufgaben in der Gebäudeautomation oder Klimatechnik bis hin zu kompletten Produktionsstraßen spannt. Das liegt zum anderen an den unterschiedlichen Anforderungen von Steuerungsaufgaben bezüglich Echtzeitunterstützung.
Das NIO Gateway macht Daten aus SPS-Systemen und Sensorik über Cloud-Plattformen wie IBM Bluemix, für Anwendungen im Industriellen IoT Umfeld nutzbar. (Bild: Spectra GmbH & Co. KG)
Das NIO Gateway macht Daten aus SPS-Systemen und Sensorik über Cloud-Plattformen wie IBM Bluemix, für Anwendungen im Industriellen IoT Umfeld nutzbar. (Bild: Spectra GmbH & Co. KG)

Von Hard auf Soft

Ein differenzierter Blick auf das Leistungspotenzial der SPS-Systeme unterschiedlicher Größe und IPC-gestützter Soft-SPS-Lösungen gibt erste Hinweise auf eine Antwort. Die Stärken traditioneller SPS-Systeme als zentrales Element einer Automatisierungslösung sind harte Echtzeitfähigkeit, Robustheit, Zuverlässigkeit und vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten einschließlich Ethernet-Schnittstelle. Einige Modelle der Vision-Serie vom Spectra-Partner Unitronics enthalten sogar einen einfachen Web-Server und ermöglichen damit den Zugriff auf die SPS mittels Web-Browser. Mit diesen Eigenschaften übernehmen kompakte SPS-Systeme in der Regel die dedizierte Steuerung kleinerer Anlagen etwa im Rahmen der Heizungs- oder Lüftungssteuerung, der Umwelttechnik (Kläranlagen, Trinkwasseraufbereitung einschließlich Rezepturverwaltung), im Bereich erneuerbarer Energien oder Anlagen in der Teile- und Prozessfertigung. Ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt der SPS-Systeme ist das Preisniveau. Die Kosten für die Unitronics-Einstiegsmodelle Jazz und Samba liegt beispielsweise kaum höher als der Preis, der für eine Microsoft Windows-Lizenz im IPC-Segment fällig wird. Der große Vorteil einer SoftSPS in einem IPC ist, dass sie die Eigenschaften traditioneller Systeme mit der Flexibilität und Rechenleistung eines PCs in einem Gerät vereint. Die SPS-Funktion wird dazu typischerweise mit einer echtzeitfähigen Laufzeitumgebung unter dem Standardbetriebssystem (Windows oder Linux) auf dem PC realisiert. Mit dem IPC – oder genauer den Steuerungs-Programmbibliotheken – lassen sich schnell Änderungsanforderungen umsetzen, wenn Maschinen in unterschiedlichen Varianten konfektioniert werden oder der Generationswechsel einer Anlage ansteht. Moderne embedded Systeme wie die Spectra PowerBox-Serie 3000 oder NIFE 300 von Spectra-Partner Nexcom sind mit ihrer offenen universellen Architektur in der Lage, unterschiedliche Funktionen wahrzunehmen. Bestückt mit den neuen Intel-Core-Prozessoren der sechsten Generation i5-6500TE und i7-6700TE (Skylake-S) und AVX-Unterstützung (Advanced Vector Extensions) verfügen sie über ein ausreichendes Leistungsvermögen, die Aufgaben einer Steuerungs- und Kontroll-Einheit der Bewegungsregelung, eines Fieldbus-Controllers und eines IoT-Gateways in einem Gerät zu übernehmen. Prinzipiell lässt sich eine SoftSPS natürlich auch auf Grundlage von IT-Ressourcen in die Cloud ’schieben‘ und auf einer Art virtuellen IPC betreiben. Praktisch ist dies jedoch ein Muster mit begrenztem Wert, da der Bezug von Steuerinformationen als Internet-Service derzeit kaum harte Echtzeit-Bedingungen erfüllen kann. Der Grund hierfür ist, dass die Gesetze der Physik auch für das Cloud Computing gelten. Die Lichtgeschwindigkeit ist mit 300.000km/s eine prinzipielle Obergrenze zur Übertragung von Information. Cloud-Server dürfen folglich maximal 300km entfernt aufgestellt werden, wenn eine Reaktion innerhalb von ein bis zwei Millisekunden erforderlich ist. Wann, wie und wo ein Internet verlässlich mit einer Millisekunde Latenzzeit in der Fertigung, Robotik oder bei mobilen Anwendungen wie autonome Fahrdienste reagiert, lässt sich frühesten in einigen Jahren belastbar bewerten, dann wenn das Konzept eines taktilen Internets o.ä. das Forschungsstadium verlässt. Ob das Ganze dann überhaupt für ’normale‘ Automatisierungsanwendungen finanzierbar ist, bleibt ein weiterer offener Punkt.

Cloud-Services in der Produktion

Anwendungen für harte Echtzeitanforderungen müssen auch künftig nahe an der Maschine arbeiten und deshalb vor Ort gehalten werden. Spielt der Zeit-Aspekt eine weniger dominante Rolle kann die Einbindung von Cloud-Services in Produktions -und Fertigungsumgebungen zu realen Vorteilen führen. Die Programmierung von Steuersoftware einschließlich Testmanagement, die Verwaltung der Lösungen oder die Berechnung neuer Prozessparameter lässt sich problemlos in eine Cloud verlagern, um von den beeindruckenden Mechanismen – schnelle, flexible Bereitstellung und automatische Zuordnung von IT-Ressourcen – zu profitieren. Die Stärken des Cloud-Betriebs lassen sich des Weiteren für einen anderen, im Kontext neuer Industriekonzepte immens wichtigen Aspekt ausspielen: Die Kombination, Verdichtung und Analyse von Daten unterschiedlicher Produktionskomponenten zu neuen ‚wertvollen‘ Informationen (siehe Kasten). Die für diese Aufgabe notwendigen Kommunikationsanforderungen stoßen in etablierten Infrastrukturen im Wortsinne an ihre Grenzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich auf der Steuerungsebene eine Vielzahl unterschiedlicher Feldbus-Protokolle (Profibus, Ethercat & Co.) etablieren konnten. Eine 1:1-Verbindung der proprietären Systeme und Protokolle untereinander wäre auf direktem Weg wirtschaftlich und aufwandstechnisch kaum darstellbar. Als Alternative bietet sich daher der Einsatz einer Cloud als Informations- und Analysedrehscheibe an. Über die Plattform lassen sich Informationen bislang von außen ‚unsichtbarer‘ Komponenten, beispielsweise traditioneller SPS-Systeme als Service für berechtigte Anwendungen zugänglich und verwertbar machen. Spezialisierte IoT-Gateways wie das Nexcom NIO 100 oder extrem kleine, lüfterlose Mini-PC wie die PowerBox 100 Daten dienen an dieser Stelle als ‚Himmelsleiter‘ in Cloud-Umgebungen wie Microsof Azure oder IBM Bluemix. Das IoT-Gateway beziehungsweise der Mini-PC sammeln die Daten in unterschiedlichen Feldbus-Formaten ein, bereiten diese für die Standard-Ethernet-Kommunikation auf und transportieren sie über den Internet-Zugang eines Unternehmens oder per Mobilfunk weiter an Anwendungsservices in der Cloud. Der Zeitaspekt besitzt bei der Aufbereitung der Daten im Übrigen gleichfalls eine bedeutende Rolle – wenngleich in anderer Hinsicht als unter dem Echtzeitanspruch diskutiert. Jede Kombination von Daten setzt eine intelligente Modellierung voraus, damit die Informationen überhaupt verständlich sind. Dazu zählt neben der präzisen Festlegung, welche Daten in welchem Intervall überhaupt die Himmelsleiter Richtung Cloud nutzen dürfen, die Frage der vergleichbaren Uhrzeit (UTC – koordinierte Weltzeit). Werden die von unterschiedlichen Kanälen angelieferten Daten nicht konsolidiert und mit einem verbindlichen Zeitstempel zu versehen, bevor sie die Fabrikhalle Richtung interne oder externe Cloud verlassen, droht die Gefahr einer Fehlinterpretation. Am Beispiel einer vorausschauenden Wartung lässt sich verdeutlichen, warum in diesem Kontext eine gewisse (Verarbeitungs-) Intelligenz im Vorfeld vonnöten ist. Werden hier die hohen Vibrationswerte einer Anlage nicht mit der zur selben Zeit vorherrschenden Rotationsgeschwindigkeit in Korrelation gebracht, sondern mit den niedrigeren Werten aus der Nacht zuvor, wird vielleicht grundlos ein Service-Auftrag initiiert.


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